Reflexe beim Reflexiven

Immer wieder lese ich in Texten, dass reflexive Verben im Deutschen ausschließlich mit dem Pronomen „sich“ gebildet werden. Das ist zunächst durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass die Endung „-ся“ im Russischen nur dahingehend veränderlich ist, dass sie in einigen Flexionsformen zu „-сь“ wird. An die grammatische Person wird sie jedoch nicht direkt angepasst. Damit sind wohl auch Sätze zu erklären, in denen auf Personen wie „ich“ oder „du“ dennoch sozusagen reflexartig ein „sich“ folgt, was jedoch im Deutschen nicht nur falsch ist, sondern auch sofort als die Formulierung eines Nichtmuttersprachlers erkannt wird.

Im Deutschen ist unbedingt darauf zu achten, dass die Reflexivpronomina unmittelbar mit den Personen zusammenhängen und – auch in zusammengesetzten Konstruktionen – mit ihnen in Übereinstimmung (Kongruenz) gebracht werden müssen. Also:
„Ich habe leider vergessen, mich zu waschen.“
„Du solltest darauf achten, dich besser auszudrücken.“
„Es fällt uns leider schwer, uns daran zu erinnern.“
„Ihr müsst daran denken, euch rechtzeitig einzufinden.“

Ein ähnliches Problem tritt an den Stellen auf, in denen im Russischen und anderen slawischen Sprachen die Possessivpronomina „свой, своя, свои“ verwendet werden, die anzeigen, dass der Inhaber dessen, worum es geht, mit dem Agens des Satzes übereinstimmt. Da es eine solche Form im Deutschen nicht gibt, müssen auch hier die den jeweiligen Personen entsprechenden Possessivpronomina verwendet werden. Das führt allerdings dazu, dass es auf den ersten Blick keinen Unterschied bei der deutschen Übersetzung der folgenden Sätze gibt:
„Саша взял с собой свою книгу.“ und „Саша взял с собой его книгу.“ würde man zunächst gleichermaßen mit „Sascha hat sein Buch mitgenommen.“ übersetzen.
Im Russischen ist im ersten Satz jedoch ein Buch gemeint, das Sascha selbst gehört, während im zweiten Satz in der Regel das Buch einer anderen männlichen Person gemeint ist. Dieser Unterschied ist im Deutschen nur dadurch aufzulösen, dass man im ersten Satz formuliert: „Sascha hat sein eigenes Buch mitgenommen.“ Damit wird betont, dass es sich gerade nicht um das Buch eines anderen gehandelt hat.

Die Diskrepanz zwischen dem Russischen und dem Deutschen wirkt sich natürlich auch auf feststehende Redewendungen aus. So könnte man die beruhigende Mitteilung „Тут все свои (люди).“ zwar mit „Hier sind alles die eigenen Leute.“ wiedergeben. Allerdings klingt das trotz allem etwas unbeholfen. An dieser Stelle würde sicher jede deutsche Stammtischrunde sagen: „Hier sind wir unter uns.“

Carola Jürchott

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