Artur Rosenstern, geboren in Kasachstan, studierte Musik-, Medienwissenschaft und Geschichte in Paderborn, Detmold und Belletristisches Schreiben in Hamburg. Bekannt durch zahlreiche Publikationen in Anthologien und Literaturzeitschriften. Herausgeber von Anthologien im Cross-Culture-Bereich, Mitglied des Verbands deutscher Schriftsteller und der Herforder AutorInnen-Gruppe. Preisträger mehrerer Literaturwettbewerbe.
Anfang 2023 erschien im Ostbooks Verlag ein ansprechend gestalteter Lyrikband von Artur Rosenstern, dem Autor der Novelle „Planet Germania“, des Romans „Die Rache der Baba Jaga“ und des Lyrikbandes „schmerz-wort-tropfen“. Nun wird dem Leser eine Auswahl neuer lyrischer Verse geboten. Der Titel, Die Herzen unserer Erde, der auf dem rotbraun bespritzten Coverumschlag rot auf weiß leuchtet, lässt eine anspruchsvolle, intelligente Poesie vermuten.
Ausschlaggebend für dieses Buch ist die moderne Versform, die der Autor als Darstellungsmittel seines Gedankenstroms wählte. Auf den ersten Blick machen die Verse einen etwas ungewöhnlichen und stellenweise sogar sehr komplexen Eindruck, doch im nächsten Augenblick fühlt man sich schon vom Rhythmus und dem Herzschlag der Strophen gefesselt. Man liest sich rein, und schon bald achtet man nicht mehr auf die absichtlich vermiedenen Kommata und Punkte sowie die permanente Kleinschreibung der Nomen. Der Dichter selbst ist der Überzeugung, dass durch solche Abweichung von der klassisch üblichen Strophengliederung und des Metrums „dem Leser die Möglichkeit geboten wird, das eine oder andere Gedicht vielleicht gar verschieden bzw. auf seine Art und individuell zu deuten und die Stellen „zwischen“ und „nach“ den niedergeschriebenen Zeilen mit eigenen Worten und Deutungen zu ergänzen“.
Eingeteilt in drei Abschnitte Wir selbst, Postromantisches und Mehr Licht stellt das Buch ein kaleidoskopisches Farbenspiel aus Emotionen, Erinnerungen und Gefühlen über das Vergangene und Existierende dar. Mit eindringlichen Worten öffnet es der Welt das lyrische und wahre ICH des Autors. Wir lernen einen Dichter kennen, der über das Sinnliche philosophiert:
ich weiß nicht, welche farbe/ mein blut heute trägt/ mal ist es rot/ mal ist es grün/ mal wird es bernsteinfarben wie die/ untergehende sonne über dem/ still vor sich hin sterbenden aralsee./
Dann wird er eher romantisch, wenn er von der Liebe schreibt: sie sprach feuchtnasse worte/ leuchtete zuweilen vage/ wie die sonne am nackten juni-/morgen/ (aus dem Gedicht an diesem abend) oder sentimental: je ferner der zeitpunkt des todes/ meiner urväter desto deutlicher/ seh‘ ich durch die gezeiten…/.
Das eine oder andere Gedicht mag vielleicht beruhigend wirken oder ausgelöschte Passagen aus der Kindheit in Erinnerung rufen, doch diese Ruhe ist trügerisch, denn die angebliche Schlichtheit metaphorisiert die tiefe Betroffenheit und Verzweiflung des lyrischen Ich:
ich sehe was du nicht siehst/ ich höre was du nicht hörst/ ich rieche was du nicht riechst/ ich schmecke was du nicht schmeckst/ ich fühle was du nicht fühlst/ jeder versuch/ es dir zu erklären/ ist/ lüge/…
Auf einmal merkt man, dass die Zeilen des Gedichts noch lange in der Luft nachhallen, und es braucht Zeit, um sich von ihnen zu lösen.
Der Gedichtband Die Herzen unserer Erde ist eine spannende, tiefsinnige und intellektuell anspruchsvolle Lektüre, die man nicht einfach schnell herunterlesen kann, weil sie zum Nachdenken anregt, weil man das Gelesene mit seinen eigenen Empfindungen und den Gefühlen des Autors vergleichen wird. Genügend Stoff zum Nachdenken verleihen auch die Bilder und Collagen des Künstlers Reiner Graner, die den Band schmücken und genauso tiefgründig und durchdacht wirken, wie die poetischen Überlegungen von Artur Rosenstern.
Es ist deutlich spürbar, dass die beiden Schöpfer des Buches die gleiche Sprache sprechen, und zwar die Sprache der Kunst. Auch wenn sie mit verschiedenen Mitteln ihre Werke erschaffen, vermitteln sie der Welt dieselben Botschaften. Das Coverbild, das Reiner Craner für das Buch gesondert angefertigt hat, stellt ein blutendes Herz dar, das auf irgendeiner Straße unserer Erde lag /… und blutete/ungebrochen pulsierte unaufhörlich…/ und /niemand wusste warum es nicht/ aufhörte zu bluten so wie niemand weiß/ warum die sonne nicht sterben kann/. Zeilen aus dem Gedicht, die dem Titel des Buches zugrundeliegen und die vermutlich auch den Künstler zu seiner Vision inspirierten. Die Zusammenarbeit des Dichters und des Künstlers führte zu einem beindruckenden Ergebnis – es entstand ein ergreifendes Buch mit vielen Fragen, für die jeder Leser seine eigenen Antworten finden wird.
Man kann dieses Buch mit Sicherheit als eine der modernsten lyrischen Erscheinungen am literarischen Horizont unserer Literatur bezeichnen und es zweifelsohne auch der Leserschaft, die nicht gerade so „scharf“ auf Poesie ist, von Herzen empfehlen. Denn jeder von uns hat einmal in seinem Leben Tage, die er gerne wegradieren möchte, und es tut oft gut, sich an solchen tristen Tagen der Poesie zu widmen, um herauszufinden, ob /vielleicht … dieser seifenblasentag dennoch nicht ganz verloren [ist] …
Rose Steinmark
Münster, Februar 2023.
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