Trau, schau, wem?

Der Inhalt dieser Redewendung, die meine Großmutter so gern benutzte, erschloss sich mir in meiner Kindheit erst nach und nach, und auch die grammatikalischen Fallstricke, die zumindest das erste der beiden Verben in sich birgt, treten hier noch nicht so offensichtlich zutage.
Häufig hört man nämlich Sätze wie:
„Ich traue mir das nicht.“
Liest man nun die Überschrift, könnte man denken: „Natürlich, ‚trauen‘ verlangt den Dativ.“ Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit.
Wenn es wie in der Redewendung darum geht, ob man jemandem trauen kann, ist das zweifellos richtig. Hier geht es um das Vertrauen, das man einer Person entgegenbringt, und dafür ist der Dativ natürlich das einzig Wahre.

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Von Bindungen und Koppeleien

Es ist schon eine Weile her, dass ich beim Lesen einer öffentlich-rechtlichen Videotext-Meldung über den folgenden Satz stolperte: „2019 will dann auch das Hamburger-Duo Laura Ludwig/Kira Walkenhorst wieder topfit sein, um den Titel vor heimischer Kulisse zu verteidigen.“

Gut, das berühmte Beachvolleyball-Duo ist nicht mehr zusammen, aber musste man es deshalb damals schon sozusagen verbal zu Hackfleisch verarbeiten?
Dieses Missverständnis macht nämlich der Bindestrich im „Hamburger-Duo“ möglich. Zugegeben, hier hätte eine gendergerechte Sprache helfen können, denn dann wäre es wenigstens ein Hamburgerinnen-Duo gewesen, was jedoch auch nur die halbe Wahrheit gewesen wäre, da keine der Damen Hamburgerin ist. Gemeint war in diesem Fall wohl die Tatsache, dass beide für den Hamburger SV antraten, und genau da liegt nun auch der berühmte Hase im sprichwörtlichen Pfeffer. Um diesem Umstand Ausdruck zu verleihen, hätte es genügt, den Bindestrich einfach wegzulassen, was heutzutage in anderen Zusammenhängen eigentlich eher inflationär anzutreffen ist. Hier aber hätte das Leerzeichen verdeutlicht, dass es sich eben nicht um ein aus Hamburgern bestehendes Duo, sondern um ein Duo aus Hamburg gehandelt hat.

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Jahrestage über Jahrestage

Wie in jedem Jahr bietet der Jahresanfang auch diesmal eine gute Gelegenheit, sich einen Überblick über anstehende Jubiläen zu verschaffen. So liest man, dass Judy Garland und Doris Day demnächst 100 Jahre alt geworden wären, Molière hingegen bereits 400, Friedrich I. Barbarossa würde nun gar schon 900 Lenze zählen, und E. T. A. Hoffmann ist bereits vor 200 Jahren verstorben.
Wie aber formuliert man all diese Informationen unmissverständlich und sogar mathematisch richtig? Auch wenn die Frage lapidar wirken mag, möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf eingehen, obgleich die Jubiläen bereits Thema eines anderen Blogartikels hier waren. Doch auch in öffentlich-rechtlichen Medien hört man immer wieder Sätze, die einen in dieser Hinsicht aufhorchen lassen. So verkündete beispielsweise kürzlich der Moderator des von mir bevorzugten, auf kulturelle Themen spezialisierten Radiosenders:
„Gustave Flaubert: Heute jährt sich sein 200. Geburtstag.“
Etwas weiter zurück liegt die ebenfalls etwas verblüffende Nachricht:
„Heute jährt sich der 50. Todestag von Adorno.“

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Sind Einheiten wirklich einerlei?

Das Erste, das uns unser Physiklehrer, ein Urberliner vom alten Schlage, in der 6. Klasse über Geschwindigkeit beibrachte, war die Tatsache, dass die Bezeichnung „Stundenkilometer“, die einem auf den ersten Blick völlig normal erscheint, weil sie sich über viele Jahrzehnte eingebürgert hat, physikalisch falsch ist. Schließlich suggeriert sie, dass die Stunden als Einheit mit den Kilometern multipliziert werden, was natürlich nicht der Fall ist. Korrekt heißt es nach wie vor „Kilometer pro Stunde“, und die entsprechende Einheit wird auch als Bruch geschrieben: „km/h“. Anders verhält es sich bei der Kilowattstunde, deren Symbol „kWh“ tatsächlich ein mathematisches Produkt ausdrückt, denn hier wird wirklich die Einheit Watt (oder in diesem Fall Kilowatt) für die Leistung mit der Zeiteinheit multipliziert. Deshalb ist die im Russischen häufig anzutreffende Schreibweise „кВт/ч“ genauso falsch wie die Bezeichnung „Stundenkilometer“ im ersten Beispiel. Richtig wäre an dieser Stelle ausschließlich „кВт⋅ч“.

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Kennen Sie Karfiol?

Regierungskrisen in Österreich kann man sich von Deutschland aus zugegebenermaßen mit einer gewissen Gelassenheit ansehen. Für mich aber hatte die bisher letzte ihrer Art durchaus interessante Züge, hat sie doch bei mir zu einigem Erkenntnisgewinn auf sprachlicher Ebene beigetragen.
Natürlich weiß ich seit meinem ersten Aufenthalt in der Alpenrepublik vor mehr als 30 Jahren, dass Schlagsahne dort „Schlagobers“ heißt und Blumenkohl „Karfiol“. Schließlich hatte ich bei meinem ersten Blick in eine österreichische Speisekarte das unvergessliche Gefühl, in diesem Fall auch für das Deutsche ein Wörterbuch zu brauchen. (Für alle Liebhaber der Lexikografie: Es gibt tatsächlich ein Wörterbuch Österreichisch-Deutsch.)

Natürlich kann man sich die Bedeutung des „Erdapfels“ im Zweifelsfall erschließen. Schwieriger wird es da schon bei der Tomate, die in Österreich „Paradeiser“ heißt, und spätestens, wenn man in einem Kaffeehaus ein Heißgetränk bestellen möchte, ist man als „Piefke“, wie eingefleischte Österreicher uns Deutsche auch schon einmal ironisch oder abschätzig nennen, geneigt, angesichts der Fülle der „Schwarzen“, „Braunen“, „Einspänner“, „Kapuziner“ und „Verlängerten“ die Waffen zu strecken.

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Dativ oder Genitiv – wer ist wessen Tod?

Der Titel der bekannten Buchreihe, demzufolge der Dativ dem Genitiv nach dem Leben trachtet, ist sicher jedem sprachlich Interessierten geläufig. Doch besteht diese „Lebensgefahr“ wirklich nur für den Genitiv, oder ist es nicht manchmal auch umgekehrt? Aufschluss bietet in dieser Frage ein grammatikalischer Fehler, der interessanterweise Muttersprachlern sowohl des Deutschen als auch des Russischen immer wieder unterläuft – jedem in seiner Sprache.
Wie man im Russischen immer wieder hört und leider auch liest, dass nach „согласно“ ein Genitiv angeschlossen wird („согласно чего?“), sehen sich auch im Deutschen viele bemüßigt, sowohl nach der Präposition „entsprechend“ als auch nach „laut“ bei einem Maskulinum oder einem Neutrum mit einem „des“ fortzufahren. (Bei femininen Substantiven stellt sich die Frage zumindest im Singular nicht, weil der Artikel in beiden Fällen – Genitiv und Dativ – „der“ lautet.)

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Wenn Demonstratives zu demonstrativ wird

Demonstrationen entsprechen dem Zeitgeist – daran besteht kein Zweifel, und natürlich macht der Zeitgeist auch vor der Sprache nicht halt. Dennoch ist es hier wie so oft im Leben: Zu viel des Guten kann leicht ins Gegenteil umschlagen. Und auch wenn es in diesem Blog natürlich in allererster Linie um die geschriebene Sprache geht, möchte ich heute gern ein Phänomen aufgreifen, das in der gesprochenen Sprache der Medien, also in Funk und Fernsehen, immer stärker um sich greift.
Die Demonstrativpronomina des Deutschen sind hinlänglich bekannt: „dieses“ und „jenes“ in all ihren Formen. Mit einer bestimmten Betonung können aber auch andere Wortarten in der Kommunikation ihre Funktion übernehmen, zum Beispiel bestimmte Artikel oder Adverbien. Möchte man eine solche Verwendung in der Schriftsprache kenntlich machen, bleibt einem häufig nichts anderes übrig, als sie eindeutig zu markieren, entweder verbal:
„Du willst die Bluse anziehen?“, fragte sie entsetzt.
oder typografisch:
„Du willst DIE Bluse anziehen?“

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Prozente, Prozente

Keine Angst, liebe Leserinnen und Leser – so reißerisch, wie der Titel es vermuten lassen könnte, wird dieser Beitrag ganz bestimmt nicht. Vielmehr geht es wieder einmal um Mathematik im weitesten Sinne, und zwar in diesem Fall um die Besonderheiten der Prozentrechnung im Russischen und im Deutschen. Den ersten Unterschied bieten einem bereits einschlägige Wörterbücher. Während man im Deutschen nur Prozente bekommt, wenn man eine Provision bezieht oder einen Rabatt aushandelt, haben die russischen проценты ein weitaus größeres Betätigungsfeld. Sie treten sowohl als rein mathematische Größe auf, die wahrscheinlich auf der ganzen Welt dieselbe Bedeutung hat – nämlich „von Hundert“ -, können aber auch Zinsen, einen Zinssatz, eine Verzinsung oder eine Rendite bedeuten.
Bei all diesen Bedeutungen hilft einem im Zweifel ein gutes Wirtschaftswörterbuch, man sollte nur wissen, wonach man suchen muss und dass „проценты“ eben nicht immer „Prozente“ sind.

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Lasst uns froh und munter sein

Nein, liebe Leserinnen und Leser, mit der Überschrift dieses Blogbeitrags habe ich mich nicht in der Jahreszeit geirrt, und ich habe auch nicht vor, den Supermärkten nachzueifern, in denen es schon seit Ende August wieder Lebkuchen zu kaufen gibt. Mir geht es heute um ein Phänomen, dass aus dem zitierten Liedtext nur teilweise ersichtlich wird – und zwar „teilweise“ im wahrsten Sinne des Wortes -, denn hier wurde die Konstruktion „lasst uns“ völlig richtig gebraucht.
Folgt darauf ein nicht reflexives Verb, stellt diese Art der Aufforderung auch kein Problem dar. Anders verhält es sich jedoch bei reflexiven Verben. Wie es in diesem Blog bereits an anderer Stelle thematisiert wurde, muss im Deutschen das Reflexivpronomen jeweils der grammatischen Person des Verbs angepasst werden. Wird also „sich treffen“ in der ersten Person Plural verwendet, muss es natürlich heißen „wir treffen uns“. Was passiert aber, wenn diese Konstruktion mit der Aufforderung „lass(t) uns …“ in Einklang gebracht werden soll? Dann steht das Wörtchen „uns“ auf einmal zweimal in dem jeweiligen Satz. Kann man es deshalb – wie es etwa bei gemeinen Brüchen in der Mathematik üblich ist – sozusagen „herauskürzen“?

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Der Nominativ ist aller anderen Fälle Tod

Zu diesem, einem bekannten Buchtitel entlehnten, Schluss könnte man kommen, wenn man ein wenig den Gesprächen an der Supermarktkasse oder unter Schülern lauscht.
„Wie viel kostet das?“
„Ein Euro achtundvierzig.“
Warum „ein Euro“ und nicht „einen Euro“? Was ist aus dem guten alten Akkusativ geworden?
„Bei wem habt ihr Mathe?“
„Bei Herr Müller.“
Nanu? Seit wann verlangt denn die Präposition „bei“ keinen Dativ mehr? Oder ist der Dativ von „Herr“ inzwischen nicht mehr „Herrn“? Weit gefehlt – zumindest laut dem guten alten Duden.
Auch dem Genitiv geht es nicht besser. So findet man auf der Webseite einer Gesamtschule die höchst fragwürdige Überschrift: „Herr Müller’s Abschied“. Abgesehen vom Apostroph, über dessen Überflüssigkeit in einer solchen Formulierung an dieser Stelle und anderenorts schon vieles geschrieben wurde, ist hier wohl nicht einmal den Deutschlehrern der entsprechenden Schule aufgefallen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, Herrn Müllers Abschied sprachlich korrekt zu begehen.

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