Verbreitet ist die Meinung, in der Poesie sei schon alles gesagt worden, was aber die antiken Texte von Elena Seifert betrifft, ist diese Behauptung von sich schon widerlegt. Sie fühlt sich in der antiken Mythologie und in der antiken Welt frei und ungehemmt, was ihr ermöglicht, poetisch Vergangenheit mit Gegenwart, Rationales mit Emotionalem zu verknüpfen, aber auch Formales mit Schöpferischem, was die Gesetze und Regeln der Gedichtlehre betrifft. Damit scheint sie den Staub zu schütteln, sowohl von den veralteten als auch den gegenwärtigen Dogmen.
Sie übersetzend, komme ich mir wie ein Seilartist vor, balancierte auf den langen Zeilen, erhole mich auf den kurzen und springe ab von den Einwort-Zeilen. Zuweilen fühle ich mich wie ein Alpinist, der aus letzter Kraft Felsen zauberhafter Form auf- und absteigt. Die Spitze erreicht, atme ich gierig die frische Luft ein, bewundere den Ausblick.
Von klein an liebe ich Berge, da meine Kindheit im Nordural inmitten der Bergtaiga verging, darunter war der Berg Koltschimskij Kamenj (Pominjonnyj) der aller geheimnisvollste, von rätselhaften Legenden und Mythen umwoben. Unsere Waldsiedlung Tschurotschnaja, etwa 50 Blockhütten groß, befand sich am Fuße dieses Bergs, und das Bergflüsschen desselben Namens speiste sich von seinem Tau- und Quellwasser, das in den Fluss Krasnaja Wischera, weiter in die Kama, von da in die Wolga, und von der Wolga ins Kaspische Meer ergoss. Sind das aber Sachen! Man könnte denken, die Welt sei praktisch unteilbar. Ja, der Planet Erde ist als einziger für alle da – trinkt die Erde, das Mütterchen, doch nicht bis auf den Grund aus!
Ich muss betonen, dass Elena Seifert genial auf der Klaviatur der russischen Sprache spielt, ihr eine rasende Musik entlocken, und sie zu hören – pures Vergnügen. Über den Geschmack, wie es heißt, streitet man nicht. Daher habe ich nicht vor zu richten. Aber, wie in allem, es gibt Menschen mit unterentwickeltem und entwickeltem Geschmack. Die „Antiken Gedichte“ von Elena Seifert sind natürlich in erster Reihe für Leser mit feinem Geschmack und entwickeltem Intellekt gedacht.
Wendelin Mangold
Königstein im Taunus
März 2017
Das Buch können Sie direkt beim Übersetzer bestellen. Unter der eMail-Adresse: wendelin.mangold@gmx.de