Das reinste Hin und Her

„Geh’n wir mal rüber, geh’n wir mal rüber, geh’n wir mal rüber zum Schmied seiner Frau …“

Dafür, dass solche überlieferten Texte nicht immer als Beispiel für grammatisch richtige Formulierungen dienen können oder sollten, ist dieses Volkslied der beste Beleg. Abgesehen von dem mehr als fragwürdigen und wirklich nur im Dialekt erlaubten Genitiv, tritt hier noch ein anderes Problem zutage, mit dem ich bei meinen Korrekturarbeiten immer wieder zu tun habe.

Streng genommen, müsste man nämlich singen: „Geh’n wir mal ’nüber…“, denn hier geht es wieder einmal um den Standpunkt dessen, der diese Äußerung tätigt.

In diesem Fall ist damit der Standpunkt in seinem absolut buchstäblichen Sinn gemeint. Verläuft nämlich die mit dem jeweiligen Verb bezeichnete Handlung (wobei es egal ist, ob es sich um ein Bewegungsverb oder ein anderes – wie zum Beispiel „schauen“ – handelt) vom Redner weg zu einem anderen Punkt, ist die richtige Form immer die Variante mit „hin-“: „hinüber“, „hinunter“, „hinein“. Der Beispielsatz, der das am besten verdeutlicht, ist: „Ich gehe dorthin.“

Erfolgt die Handlung jedoch auf den Betrachter zu, sind die Formen mit „her-“ gefragt: „herüber“, „herunter“, „herein“. Befindet sich der Betrachter beispielsweise in einem Raum, und jemand anders kommt dazu, kommt er aus Sicht des Betrachters herein. Auch die Mutter, deren Kind zu hoch auf einen Baum geklettert ist, wird, wenn sie darunter steht, immer rufen: „Komm sofort herunter!“ Veranschaulichen lässt sich diese Form mit dem Beispielsatz: „Komm her!“

Da sich in dem obigen Liedbeispiel die Frau des Schmieds aber offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch woanders befindet als der Sänger, kann er eigentlich nur zu ihr hinübergehen, nicht „rüber“, weil das die Kurzform von „herüber“ ist.

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, also hin- und hergerissen sind, welche Form Sie verwenden sollen, denken Sie einfach an die Beispielsätze, und schon kann von Ihrem Standpunkt aus nichts mehr schiefgehen!

Carola Jürchott

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