Sind Orte geschlechtslos?

Geht man vom Russischen aus, ist die Antwort natürlich ein klares Nein, weil man da ja in der Regel schon an der Endung sieht, wie sich ein Substantiv in allen Fällen (im wahrsten Sinne des Wortes) grammatisch verhält.
Wie ist es aber im Deutschen? Hier ist das grammatische Geschlecht meist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. „Berlin“ und „Moskau“ sind im Russischen zwar unterschiedlichen Geschlechts, im Deutschen aber erschließt sich die Antwort auf diese Frage nur, wenn man statt der üblichen Präposition „in“, die keinen Artikel erfordert, einen Artikel und ein Attribut davorstellt: „das alte Berlin“, „ins ferne Moskau“. Sie sind also beide sächlich – wie in der Regel alle anderen Städtenamen auch. Besonders eindeutig zu sehen ist das natürlich bei Kurorten, die ein „Bad“ vor dem eigentlichen Namen haben, denn bei „Bad Berka“ oder „Bad Schandau“ ist ja bereits der erste Namensbestandteil ausschlaggebend und auch sächlich.


Etwas anders verhält es sich bei Orten, denen eine Bezeichnung vorangestellt ist, die z. B. auf einen berühmten Sohn der Stadt verweist: „Gerhart-Hauptmann-Stadt Erkner“ oder „Lutherstadt Wittenberg“. Verwendet man hier die komplette Bezeichnung, ist natürlich ebenfalls der erste Namensbestandteil bestimmend und damit der ganze Name weiblich wie die „Stadt“.


Wie aber sieht es mit Ländern aus? Wie verhält es sich mit Japan, Tschechien und China? Auch hier hilft das Attribut weiter: „das traditionelle Japan“, „das benachbarte Tschechien“ und „das aufstrebende China“ weisen ebenfalls wieder darauf hin, dass diese Namen jeweils ein Neutrum darstellen. Das betrifft übrigens auch alle anderen Länder mit der Endung „-ien“ sowie diejenigen, in deren Namen die Worte „-reich“ (Frankreich) oder „-land“ (Island) stecken.


Länder und auch Regionen, die auf ein betontes „-ei“ enden, sind weiblich wie die Slowakei, die Lombardei und die Mongolei. Diese Bezeichnungen werden auch immer mit dem bestimmten Artikel verwendet. Bei anderen Ländern gibt es innerhalb des Namens kein Indiz für das Geschlecht: Dass die Schweiz weiblich ist, Chile und Nicaragua aber sächlich, muss man sich einfach merken oder über die Probe mit dem Attribut erschließen. Im Zweifel gibt natürlich auch hier immer der Duden Auskunft.


Dennoch gibt es einige Länderbezeichnungen, die offensichtlich dazu einladen, das Verb grammatisch falsch anzuschließen, wie man gerade wieder in der Olympiaberichterstattung verfolgen konnte. Es handelt sich dabei um Länder, die immer mit dem Artikel „die“ genannt werden, aber dennoch kein Femininum darstellen – wie „die USA“ und „die Niederlande“.
Auch wenn es sich inzwischen herumgesprochen hat (aus meiner Kindheit habe ich das noch anders in Erinnerung), dass es sich bei diesem „die“ nicht um den weiblichen Artikel, sondern die Pluralform handelt, hörte man hier immer wieder Sätze wie: „Die USA zieht ins Finale ein“ oder „Die Niederlande besiegt Deutschland.“


Man mag nun orakeln, ob der Kommentator einfach das Wort „Mannschaft“ ausgelassen oder das Land tatsächlich als einen Singular angesehen hat, richtig ist die Form des Prädikats hier jedenfalls nicht. Beide Bezeichnungen (wie auch „die Philippinen“, „die Färöer“ und andere Inselgruppen) sind im Duden eindeutig als „Pluralwort“ gekennzeichnet, sodass sich eine Singularverbform danach von selbst verbietet.


Carola Jürchott
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