Achtung! Seien Sie bloß vorsichtig, hier ist es gefährlich! Lesen Sie diese Gedichte auf keinen Fall – wenn Sie lieber beim Vertrauten bleiben, wenn keiner Ihre wohlgefügten Kreise stören soll, wenn Sie sich nicht herausfordern lassen möchten. Denn der da schreibt, der ist frech … und fromm.
Das ist das Beeindruckende an den Gedichten von Andreas Andrej Peters: Sie gehen virtuos mit der christlichen Tradition und dem biblischen Wort um, sie treten unverstellt in Beziehung und stellen in Frage („Ich trete ihm auf die Füße“), sie verlangen von Wort und Tradition, dass sie sich als heute gültig erweisen („DIE BIBEL//querlesen mit einem/balken vorm/gesicht“) und neu zu uns Heutigen sprechen. Fromm aber, im Sinne der tieftiefen Frömmigkeit etwa eines Gerhard Tersteegen („Gott ist gegenwärtig …/Gott ist in der Mitte …/Ich in dir,/du in mir …“), wie ein Mystiker – da mag die russisch-orthodoxe Tradition, die hier und da anklingt, wirksam sein – setzt Andreas Andrej Peters zugleich, dass Gottes Wort wirkt und geheimnisvoll waltet.
Es ist faszinierend zu lesen und (Empfehlung: Lesen Sie sich die Gedichte vor!) zu hören, wie diese poetischen Texte in Bewegung sind, wie sie tanzen und spielen – zwischen Frage und Antwort, zwischen Zweifel und Zustimmung, Klage und Trost.
Etwa in diesen Zeilen:
TRÖSTER
Und gott wird abwischen alle
tränen von ihren augen & den
saharasand wegpusten von ihrem augapfel.
tränen im himmel trocknen,
tränen gleich linsen im etui
versteckt. tränen im
himmel geweint, so was möglich?
tränen der freude & der entzückung
wird er abwischen für die kommenden
freuden an den quellen des lebendigen
wassers, wird er aufhängen zum trocknen zwischen den
zedern vom libanon & der russischen birke.
Es werden biblische Zitate verquickt mit Anspielungen an konkrete Notsituationen – „saharasand“ erinnert mich an den Weg Flüchtender durch die Wüste –, dabei schillert das Tränenmotiv: Tränen der Trauer, der Klage stehen neben den „tränen der freude“. Die Zeilen „im/himmel geweint, so was möglich?“ binden Menschen- und Gottestränen zusammen, doppelt erstaunt: Ein Gott, der weint? Und: So viel „kommende(n)/freuden“ soll es geben?
Achtung! Was Andreas Andrej Peters in seinen Gedichten vollzieht, ist nicht weniger als eine Zumutung. Leser und Leserinnen, die das biblische Wort (am besten in der poetischen Sprache Martin Luthers) lieb gewonnen haben, werden womöglich ihre Mühe haben. Mühe, die sich allemal lohnt. Denn mit der sprachlichen Aktualisierung des Wortes, die Andreas Andrej Peters vollzieht, indem er das Wort ins Alltägliche, ins „Weltliche“ hineinzieht, erhält es neue Relevanz. Und so muss die „Welt“ in Anführungsstrichen stehen, denn „Weltliches“ und „Geistliches“ sind in Wahrheit nicht geschieden. Gottes Wort ist menschliches Wort für menschliche Menschen. Wunderbar drastisch ist das ausgedrückt an einem der elementaren Ereignisse christlichen Glaubens:
Brot und Wein. Gott
zum Fressen gern.
Blut und Fleisch. Gott
zum Reinbeißen.
Eine Zumutung! Eine Ermutigung! Die Ermutigung, neugierig zu sein und in meiner Wirklichkeit, in meinem Da-Sein und So-Sein und Teil-Sein Gott und sein Wort (neu) zu entdecken. Gerade das Befremdliche in diesen Gedichten – und gute Gedichte befremden immer! – bringt mich auf die Spur.
Achtung! Alle Achtung!
Andreas Andrej Peters Gedichte sind beachtlich, weil sie aufmerksam machen und helfen, Aufmerksamkeit einzuüben. Das ist – in gutem Sinne – gefährlich, denn es bewegt und bringt in Fahrt, es ermöglicht sprachliche Erfahrungen mit dem Gefährten Gott, der nicht einfach mit Wort und Tradition zu verrechnen ist, der für mehr als eine Überraschung gut ist. Darauf verwiesen wird derjenige, der sich darauf einlässt, schon durch den Titel des Buches: „rum & ähre“. Diese Wendung ist nicht nur ein naheliegendes, wohlfeiles Sprachspiel, denn entgegen der wohlsituierten Gemütskühle im Umgang mit Gottes Wort, mit der Schrift gereicht es in Wahrheit zum Ruhm, vom Wort, von Gott durchdrungen, also trunken zu sein – wie David bei der Rückholung der Bundeslade (und wie ist er nicht gescholten worden) oder die Jünger und Jüngerinnen am Pfingsttage, die sich nicht schämten, von Gott trunken zu sein (wie von Rum, den’s dort freilich nicht gab, aber Gottes Geist ist ja Rauschgetränk genug!).
In der Trunkenheit, zum Tanze bittend, im (Sprach-Spiel) verloren und versteckt – so macht Gott sich Raum. Eben der, von dem her und zu dem hin wir leben, der Grund und Quelle unseres Daseins ist; dem wir (wie berauscht) die Ehre geben, weil er uns die Ähre gibt – das, was es zum Leben braucht. Was es gewiss braucht, ist, dass er menschliche Worte für uns hat – und uns menschlich zu Worte kommen lässt.
Andreas Andrej Peters wagt es: zu lauschen, zu antworten, Gott beim Wort zu nehmen und selbst Worte zu geben.
Alle Achtung!
Und jetzt lesen Sie diese Gedichte vielleicht doch!
Thomas Weiß, Autor und Pfarrer, Baden-Baden
Das Buch ist zu beziehen über den Chiliverlag (Franziska Röchter) oder über der regulären Buchhandel.
ISBN 978-3-943292-69-5
Preis: 10,90 €