Personalunion – ja oder nein?

In einem der vorigen Beiträge habe ich schon einmal die Frage gestellt: „Singular oder Plural?“ Dabei ging es unter anderem um Attribute, die, je nachdem, ob ihnen ein Artikel vorangestellt wurde oder nicht, gemeinsame oder unterscheidende Eigenschaften bezeichnen. Der Gebrauch von Artikeln bereitet Nichtmuttersprachlern des Deutschen immer wieder Schwierigkeiten. Deshalb werde ich das Problem nach und nach aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, und weil wir schon bei der Frage nach Ein- oder Mehrzahl waren, soll es damit auch gleich weitergehen.

Neulich fragte mich eine Freundin meiner Mutter: „Wie geht es denn deiner Mutter und meiner Freundin?“, und, da die Possessivpronomina semantisch den bestimmten Artikel mitbeinhalten, war mein erster Impuls zu überlegen, warum sie sich nach zwei unterschiedlichen Personen erkundigt, bis ich begriff, dass sie eigentlich meinte: „Wie geht es denn deiner Mutter, meiner Freundin?“

Genauso verhält es sich mit dem Artikelgebrauch, besonders wenn ein „und“ zwischen den Personenbezeichnungen steht. Liest man also einen Satz, der mit den Worten beginnt: „Der Physiologe und der Biochemiker …“, geht man automatisch davon aus, dass es sich um zwei verschiedene Personen handelt, einen Pflanzenphysiologen und einen Biochemiker. Damit ist dieser Satz völlig korrekt. Folgt darauf jedoch ein Name und soll ausgedrückt werden, dass dieser Mensch beide Tätigkeiten in Personalunion ausgeübt hat, darf der Artikel nur vor der ersten Berufsbezeichnung stehen: „Der Physiologe und Biochemiker XY …“.

Zahlreiche Beispiele für Konstruktionen dieser Art finden sich in Geschichtsbüchern und alten Zeitungen, denn in den sozialistischen Ländern war es durchaus üblich, dass das Partei- und Staatsoberhaupt (wie der Name schon sagt) mehrere Funktionen gleichzeitig ausübte. Deshalb wurde in der DDR offiziell immer gesagt: „Der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzende des Staatsrates Erich Honecker …“, während bei einer Formulierung wie „Der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und der Vorsitzende des Ministerrates …“ klar war, dass Erich Honecker und Willi Stoph, der Vorsitzende des Ministerrates, gemeinsam aufgetreten sind.

Genauso verhielt es sich mit den Funktionären der Sowjetunion, weshalb die Konstruktion „der Generalsekretär des ZK der KPdSU und der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR Leonid Breschnew“ eindeutig falsch ist, da hier der Artikelgebrauch suggeriert, es gehe um mehrere Personen.

Das Zusammenziehen der Funktionen funktioniert in dieser Weise natürlich nur, wenn in beiden Fällen derselbe Artikel stehen würde („der Physiologe“ und „der Biochemiker“ sind beide männlich). Sind zwei verschiedene Artikel vonnöten, muss das „und“, um Missverständnisse wie im ersten geschilderten Fall zu vermeiden. So sind „der Physiker und das Akademiemitglied“ zwei Personen, während man beim Vater der sowjetischen Raumfahrt sagen würde: „der Raketenkonstrukteur, das Akademiemitglied Sergei Koroljow“.

Bleibt noch hinzuzufügen, dass sich natürlich auch bei einer Personalunion bestimmter und unbestimmter Artikel miteinander kombinieren lassen: „Sein Vater war ein bekannter Ingenieur, der Leiter des Planungsbüros XY.“ Ingenieure gibt es schließlich viele, aber das Planungsbüro XY hat nur diesen einen Leiter.

Carola Jürchott

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