Namen sind Schall und Rauch?

Ich gebe es offen zu, selbst das vermeintlich „einfache“ Korrekturlesen stellt für den Korrektor mitunter eine Herausforderung dar. So erging es mir bei einem Text über Komponisten, der ursprünglich auf Russisch verfasst worden war und in dessen deutscher Übersetzung ich Namen las wie „D. Verdi“ und „D. Puccini“. Nanu? Hießen diese beiden nicht Giuseppe und Giaccomo? Und lernt man nicht in einer der ersten Schulstunden im Fremdsprachenunterricht, dass Namen nicht übersetzt werden? Oder handelte es sich in meinem Text vielleicht um zwei Herren, von denen ich noch nie etwas gehört hatte und deren Vornamen tatsächlich mit einem D begannen? Nein, die kurz darauf zitierten Operntitel zeigten mir, dass mein erster Gedanke tatsächlich richtig gewesen war. Was war also passiert? Ganz einfach: Derjenige, der sich an der Übersetzung des Textes aus dem Russischen versucht hatte, hatte einfach die kyrillische Schreibweise von Джузеппе und Джакомо gedanklich wieder ins Deutsche transliteriert, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass ihre Namen aus dem Italienischen stammen.

Das ist nämlich der Haken an der Geschichte: Während im Russischen inzwischen alle Namen aus Sprachen mit anderen Alphabeten konsequent phonetisch transkribiert werden (was einem bei der richtigen Aussprache erheblich weiterhelfen kann), muss aber bei der Übersetzung in eine Sprache, die ihr Originalalphabet verwendet, auch wieder die Originalschreibweise benutzt werden, damit keine Missverständnisse auftreten. So muss Beethoven bei der „Rückübersetzung“ aus dem Russischen beispielsweise auch sein zweites „e“ zurückbekommen, das in der kyrillischen Version weggefallen war.

Für die Vermeidung dieser Fallstricke gibt es mehrere Möglichkeiten. Einerseits kann man klassisch analog vorgehen und sich überlegen, was die Ausgangssprache des Namens war, und schon allein dadurch meist die entsprechende Schreibweise richtig verwenden: Ein Jacques wird vermutlich (bis auf wenige individuelle Ausnahmen) immer Jacques heißen, egal, ob sein Familienname nun Offenbach oder Derrida ist. Auch die Giuseppes und Giaccomos in ganz Italien schreiben sich bis heute mit einem G, weil es im Italienischen nun einmal so vorgesehen ist.

Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten: Wenn es einen Namen in verschiedenen Kulturen gibt, kann sich natürlich auch die Schreibweise unterscheiden. So heißt Chopin eben, dem Französischen folgend, Frédéric, der aktuelle dänische Kronprinz aber Frederik.

Bei bekannt(er)en Persönlichkeiten ist die Wikipedia eine unschätzbare Fundgrube: Man gibt einfach die russische Schreibweise in der russischsprachigen Wikipedia ein, und entweder wird dort gleich die ursprüngliche lateinische Schreibweise in Klammern mit angegeben, oder man klickt auf den Link zum deutschen Eintrag, und schon sieht man, unter welchem Namen die jeweilige Persönlichkeit im deutschen Sprachraum bekannt ist.

Diese Funktion ist auch sehr hilfreich, wenn von einem Namen beispielsweise mehrere Namensformen im Umlauf sind. So habe ich mich sehr gewundert, als im selben Text von dem Operettenkomponisten „I. Kahlmann“ die Rede war. Mir war nur der Ungar Emmerich Kálmán geläufig, was zwar den etwas eigentümlich geschriebenen Nachnamen, nicht aber das I. bei den Initialen erklärt hätte. Ein Blick in die Wikipedia gab Aufschluss: Während sich im deutschen Sprachraum für ihn die deutsche Namensform „Emmerich“ durchgesetzt hat, greift das Russische auf seinen ungarischen Namen „Imre“ zurück. Diesen Zusammenhang stellt ein deutscher Leser jedoch nicht her, weshalb der Vorname hier mit einem „E.“ abgekürzt werden muss.

So ist es also an der Zeit, wieder einmal eines der „ehernen“ Gesetze unserer Schulzeit vom Sockel zu stoßen: Natürlich ist es richtig, dass Namen grundsätzlich nicht übersetzt werden, man sollte aber immer darauf achten, in welcher Form sie in der jeweiligen Sprache bekannt sind und verwendet werden, und sie dann gegebenenfalls anpassen. Schließlich würde auch niemand auf die Idee kommen, Heinrich Heine bei einer Übersetzung aus dem Russischen weiterhin „Genrich Gejne“ zu nennen.

Carola Jürchott

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