Im Namen des Vaters

Zugegeben, diese Überschrift mag etwas ketzerisch klingen, wenn man bedenkt, welche sprachliche Erscheinung sich dahinter verbirgt. Allerdings muss ich Muttersprachlern des Deutschen immer wieder erklären, was ein Vatersname überhaupt ist und dass es sich dabei weder um den Geburtsnamen der jeweiligen Person im Sinne des deutschen Namensrechts noch (wie Polizei und Gerichte gern vermuten) um eine „Alias-Identität“ handelt. Auch in Übersetzungen sehe ich häufig, dass die Übertragung dieses Phänomens Schwierigkeiten bereitet, und deshalb soll es hier nicht unerwähnt bleiben.

Natürlich kennt nicht nur das Russische den Vatersnamen, er kommt ebenso in anderen slawischen Sprachen und vielen weiteren Sprachfamilien vor. Im Deutschen findet man zwar noch Familiennamen, die sich auf Vatersnamen zurückführen lassen, jedoch sind diese in ihrer ursprünglichen Form heute nicht mehr gebräuchlich und daher weitgehend in Vergessenheit geraten. Das ist wohl auch der Grund für die ständigen Irritationen bei der Übertragung. So habe ich schon Varianten gesehen wie „Michail v. Juri Lermontow“, die im Deutschen gänzlich in die Irre führen und keinesfalls zu tolerieren sind.

Persönlichkeiten aus dem russischen Sprachraum sind hierzulande wesentlich eher unter ihrem Vor- und Familiennamen bekannt, den Vatersnamen kennen meist nur eingefleischte Liebhaber des Russischen. Lediglich bei Politikern wurde früher der Vatersname häufig mit genannt, sodass Wladimir Iljitsch Lenin durchaus auch in dieser Form noch zu finden ist. In deutschen Lesebüchern findet man allerdings „Alexander Puschkin“ und „Lew Tolstoi“, während Namensnennungen wie „Alexander Sergejewitsch“ oder „Lew Nikolajewitsch“ einer zusätzlichen Erklärung bedürften. Deshalb ist es auch bei Übersetzungen (die nicht in den Bereich der wissenschaftlichen Literatur und der amtlichen Urkundenübersetzung fallen) üblich, den Vatersnamen einfach wegzulassen. Würde man ihn mit dem Anfangsbuchstaben abkürzen, würde das auf deutsche Leser eher wie ein zweiter Vorname wirken, wie etwa bei dem bekannten Schauspieler Gerd E. Schäfer oder dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten George W. Bush.

Die Anrede mit Vor- und Vatersnamen ist deutschen Muttersprachlern in der Regel nicht geläufig oder klingt für sie zumindest höchst ungewohnt. Deshalb ist die neutrale Möglichkeit, diese Höflichkeitsform auszudrücken, eher die Variante „Herr/Frau + Familienname“, es sei denn, man möchte durch die russisch geprägte Anrede ein bestimmtes Lokalkolorit vermitteln, wie es etwa bei Tschechow-Inszenierungen auf deutschen Bühnen üblich ist. Wird aber, wie es mitunter unter Freunden vorkommt, die Anrede mit Vor- und Vatersnamen oder auch nur mit dem Vatersnamen ironisch gebraucht, geht diese Konnotation bei einer wörtlichen Übernahme ins Deutsche auf jeden Fall verloren, weil es hier die sprachliche Kategorie des Vatersnamens nicht gibt und deshalb auch derartige Feinheiten nicht damit verbunden werden.

Kommt man dennoch nicht umhin, den Vatersnamen auch im Deutschen zu nennen – der Vollständigkeit halber oder um Verwechselungen zu vermeiden – , muss seine Transkription mit der des übrigen Namens übereinstimmen und aus Gründen der Einheitlichkeit denselben Regeln folgen. Bei der Übersetzung von Dokumenten ist der Vatersname natürlich in jedem Fall mit aufzuführen und zu behandeln wie alle anderen Namensbestandteile, sofern er nicht infolge einer speziellen Namensanpassung in Deutschland offiziell abgelegt wurde.

Carola Jürchott

www.lust-auf-geschichten.de