Von den sogenannten falschen Freunden des Übersetzers war an dieser Stelle schon öfter die Rede und auch davon, dass selbst Fremdwörtern, die so klingen, als müsste es sie in beiden Sprachen geben, bei Weitem nicht immer zu trauen ist. Dennoch taucht eines von ihnen nach meiner Erfahrung besonders häufig auf, wenn es um historische Texte, Memoiren und (Auto-)Biografien geht, in denen die Sowjetunion in der Stalinzeit eine Rolle spielt. Gemeint ist das offensichtlich als solches wahrgenommene Partizip II „repressiert“. Immer wieder liest man, dass jemand „repressiert“ worden sei. Eingeweihte wissen natürlich, dass es sich bei diesem Wort um eine Entlehnung des russischen „репрессирован(ный)“ handelt. Das Problem im Deutschen besteht nun allerdings darin, dass es das Verb „repressieren“ nicht gibt und somit von diesem auch kein Partizip gebildet werden kann.
Will man die russische Erscheinung also ins Deutsche übersetzen, kommt man nicht umhin, sich mit einer Substantivkonstruktion zu behelfen, die allerdings ihrerseits auch einen Fallstrick bereithält. Während es nämlich im Russischen nur das Substantiv „репрессия“ gibt, stehen diesem im Deutschen zwei Fremdwörter gegenüber: „Repression“ und „Repressalie“.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir, als ich am Ende er 1980er-Jahre in der Redaktion einer Fachzeitschrift für aus dem Russischen übersetzte literatur-, film-, musik-, theater- und kunstwissenschaftliche Beiträge arbeitete, bei jeder Formulierung mit „репрессия“ neu überprüften, welches der beiden Fremdwörter im Deutschen das passende wäre.
Während nämlich „Repression“ die gesamtgesellschaftliche Erscheinung der „[gewaltsamen] Unterdrückung von Kritik, Widerstand, politischen Bewegungen, individueller Entfaltung, individuellen Bedürfnissen“, wie es der Duden formuliert, darstellt, sind Repressalien die Maßnahmen, mit denen dieser Druck ausgeübt wird.
Aus diesem Grund kann in einem Land zwar ein Klima der Repression herrschen, der einzelne Mensch aber sieht sich in der Regel Repressalien ausgesetzt. Diese Unterteilung stützen auch die im Duden für den zweiten Fall angegebenen Beispiele: „Repressalien gegen jemanden ergreifen“ und „juristischen Repressalien ausgeliefert sein“. Hierbei ist noch zu beachten, dass Repressalien in der überwiegenden Zahl der Fälle in der Mehrzahl auftreten – in diesem Sinne folgt die Sprache der Realität.
Möchte man also im Deutschen das ausdrücken, was mit dem russischen „репрессирован(ный)“ gemeint ist, kommt eigentlich nur die Verwendung des Substantivs „Repressalien“ in Frage. Ob die entsprechende Person nun „Repressalien ausgesetzt“, „von Repressalien betroffen“ war, „unter Repressalien zu leiden“ hatte, „Repressalien erlitten“ hat oder „Repressalien erdulden“ musste, bleibt dann natürlich wieder dem Autor oder Übersetzer überlassen.
Carola Jürchott
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