Literatur- und Theaterseminar im Detmold 11.10 bis 13.10.2019
Das Theater spielte schon am ersten Abend eine herausragende Rolle. Gleich nach der Ankunft besuchte der Literaturkreis eine Lesung von Eleonora Hummel, die ihren neuen Roman „Die Wandelbaren“ erstmalig vorgestellt hat. In ihrem Buch greift die Autorin die Geschichte des deutschen Theaters in Temirtau auf. Moderiert wurde die Veranstaltung von Mirko Schwanitz, der uns durch Sendungen über Russlanddeutsche bekannt ist, die er für den Deutschlandfunk realisiert hat. Das Besondere an diesem Abend war, dass drei Gründungsmitglieder des deutschen Theaters in Kasachstan, Ella Schwarzkopf sowie Maria und Peter Warkentin, anwesend waren und sich im Anschluss nicht nur wortreich bei der Autorin bedankt, sondern ihren Vortrag um die eine oder andere Episode ergänzt haben.
Am nächsten Abend hatten die Teilnehmer des Seminars das Vergnügen, Maria und Peter Warkentin in ihrem selbst entwickelten Stück „Die Kist‘ von der Wolga“ zu erleben. In diesem Stück stellen sie anhand von Texten von russlanddeutschen Autoren wie Victor Klein oder Gerhard Sawatzki Episoden aus 140 Jahren wolgadeutscher Geschichte dar. Eine intensive Vorstellung, die nicht nur mit standing ovations belohnt wurde, sondern dem einen oder der anderen Zuschauerin einige Tränen in die Augen trieb.
Vor dieser Theateraufführung hatte eine Podiumsdiskussion stattgefunden. Unter Beteiligung von Olga Martens (Erste stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbands der deutschen Kultur, IVDK), Artur Rosenstern (Autor und Vorsitzender des Literaturkreises der Deutschen aus Russland), Jenni Schnarr (Leiterin des Jungen Theaters in Detmold) und Rose Steinmark (ehemalige Dramaturgin des deutschen Theater in Temirtau) wurden die Gegenwart und die Zukunft eines russlanddeutschen Theaters in Russland und in Deutschland diskutiert.
Während des eigentlichen Workshops widmete sich eine Gruppe von etwa 20 Teilnehmenden in den Räumen des Jungen Theaters dem Thema „Textbearbeitung von Prosa zu Drama“. Gemeinsam mit der Leiterin des Jungen Theaters Jenni Schnarr, dem Theaterautor Peter Neugschwentner und der leitenden Dramaturgin für das Schauspiel des Detmolder Landestheaters, hat die Gruppe nach einer ausführlichen und Vorstellungsrunde einen aktuellen dramatischen Text analysiert. Es handelte sich um einen Ausschnitt aus „Die lächerliche Finsternis“ von Wolfram Notz, ein Stück, das in den letzten Jahren auf verschiedenen deutschen Bühnen aufgeführt wurde.
Anhand des Ausschnitts wurde deutlich, wie viel Raum fürs körperliche Agieren oder Pausen ein Theatertext zulassen muss. Überhaupt ging es an diesem Wochenende viel um die Unterschiede zwischen Prosa und Texten, die auf der Bühne funktionieren müssen. Kleine Lockerungsübungen, die gegenseitiges aufeinander Eingehen und Präsenz erforderten, haben in diesem sehr intensiven Programm ebenso Platz gefunden wie die Arbeit anhand drei unterschiedlicher Texte, die am Ende des Seminars in Bühnendialoge umgewandelt und in der Gruppe zum Teil in wechselnden Rollen vorgeführt wurden.
Einer der Beispieltexte, ein Ausschnitt aus Ella Zeiß‘ Roman „Wie Gräser im Wind“ hat die Gruppe besonders beschäftigt. Es handelte sich um eine Szene, bei der ein Mann von Agenten des NKWD abgeholt und erschossen wurde. Fast alle der Seminarteilnehmenden in dem Raum konnten von einer Situation berichten, die sich so oder so ähnlich in ihrer Familiengeschichte abgespielt hatte.
Einige der Autorinnen und Autoren, die an dem Seminar teilgenommen haben, verfügen über zum Teil mehrjährige Theatererfahrungen und haben bereits szenisch gearbeitet. Andere haben vor, Texte für die Bühne umzuschreiben oder aufzuführen. Es war, der Kürze der Zeit geschuldet, zwar nur ein Ausflug in die Welt des Theaters, denn die Fähigkeit, dramatische Texte zu schreiben, kann nicht an zwei Tagen erlernt werden. Dennoch bleibt sicher die eine oder andere Kernaussage im Gedächtnis haften und hilft den Teilnehmenden in Zukunft bei ihrer eigenen Arbeit.
Und die russischsprachige Gruppe? Unter der Leitung der gewohnt großartigen Larissa Uljanenko, haben die Mitglieder der Autorinnen und Autoren, die vorwiegend auf Russisch schreiben, eigene Texte besprochen und Aufgaben gemeistert wie die 55-Wort-Challenge, die den Schreibenden herausfordert Geschichten mit nicht mehr und nicht weniger Worten zu verfassen.
Jenni Schnarr und Peter Neugschwentner, die an diesem Wochenende den Workshop angeleitet haben, sind übrigens bei dem „Wolhynienprojekt“ involviert, bei dem sich Ende Oktober angehende Autorinnen und Autoren in die Westukraine auf Spurensuche begeben haben. Am 15. Dezember kommt nach einem anderen intensiven Workshop das Ergebnis dieser Reise in Detmold auf die Bühne. Hals und Beinbruch an alle Beteiligten!
Larissa Rode
Literaturkreis der Deutschen aus Russland e. V.