Gedanken zur trüberen Jahreszeit

Allerheiligen ist vorbei, und der Volkstrauertag und Totensonntag stehen noch bevor. Lange habe ich überlegt, wann der richtige Zeitpunkt ist, um das Thema anzusprechen, das in diesem Beitrag behandelt werden soll. Da diese Jahreszeit ohnehin die „trübe“ genannt wird, passt sie wohl am besten dazu, denn ich finde, gesagt werden sollte es.

Immer wieder lese ich in biografischen Angaben, die aus dem Russischen übersetzt wurden oder einen russischsprachigen Hintergrund haben, jemand sei „aus dem Leben geschieden“, und jedes Mal frage ich mich an dieser Stelle, ob demjenigen, der diese Passage geschrieben oder übersetzt hat, überhaupt bewusst war, was er da schreibt.

Entgegen allen Annahmen ist „aus dem Leben scheiden“ nämlich keine adäquate Übersetzung des im Russischen so gebräuchlichen „ушел из жизни“, das völlig neutral den Fakt des Dahinscheidens als solchen ausdrückt. Im Deutschen kommt bei „aus dem Leben scheiden“ eine entscheidende Konnotation hinzu, die besonders deutlich wird, wenn man diese Redewendung einmal googelt. Dann findet man nämlich in der Mehrzahl Formulierungen, die noch ein weiteres, wesentliches Adverb aufweisen, und zwar „freiwillig“, „selbstbestimmt“ oder Ähnliches.

Hier zeigt sich, dass es sich bei „aus dem Leben scheiden“ um ein Synonym zum ähnlich euphemistischen „Freitod“ handelt, das heißt, der oder die Verstorbene hat sich selbst das Leben genommen. Das ist jedoch mit der russischen Formulierung keineswegs gemeint, weshalb ich an dieser Stelle dringend davon abraten möchte, sie unhinterfragt fast wörtlich ins Deutsche zu übernehmen.

Ebenfalls nicht wörtlich zu übersetzen ist eine Formulierung, die häufig im Zusammenhang mit Krieg, Zerstörung und Naturkatastrophen verwendet wird: „унес жизни десятков людей“ oder Schlimmeres. Das Bild des „Davontragens“ von Menschenleben ist im Deutschen ungebräuchlich. Hier spricht man davon, dass ein tragisches Ereignis „Menschenleben gefordert“ oder „viele Menschen das Leben gekostet“ hat.

(Im letzteren Fall sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass der Leidtragende – hier also die Menschen – im Zusammenhang mit dem Verb „kosten“ immer im Akkusativ steht, doch das ist schon wieder ein anderes Thema.)

Carola Jürchott

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