Ivan oder Iwan?

Wohl jeder, der schon einmal eine Urkunde oder ein anderes Dokument aus dem Russischen ins Deutsche übersetzen lassen musste, wird sich über die seltsame Umschrift der ursprünglich mit kyrillischen Buchstaben vermerkten Namen gewundert haben. Diese auf den ersten Blick merkwürdige Transliteration ist der Notwendigkeit der Eineindeutigkeit geschuldet, d. h. einem kyrillischen Zeichen muss auch genau ein lateinisches Zeichen entsprechen, damit die Schreibweise, falls nötig, auch wieder zurückverfolgt werden kann. So wird aus einem „я“ ein „â“, aus einem „ш“ ein „š“ und einem „э“ ein „ė“, und in vielen Fällen könnte wahrscheinlich weder ein Muttersprachler des Russischen noch des Deutschen das Ergebnis ohne zu stocken aussprechen.

Was macht man also, wenn man einen Text verfasst, in dem russische Namen vorkommen? Die einzige für Urkunden gültige Transliteration, als nach der ISO-Norm, ist offensichtlich keine gangbare Lösung. Auch an der zusätzlichen lateinischen Schreibweise von Namen im ursprünglichen Pass kann man sich, selbst, wenn man sie kennt, nicht unbedingt orientieren. Wurde zu Zeiten der Sowjetunion beispielsweise eine Transliteration verwendet, die sich nach dem Französischen als Diplomatensprache richtete (da wurde „Павел Корчагин“ zu „Pavel Kortchaguine“), ist heute in russischen Pässen eine an das Englische angelehnte Umschrift üblich, die dafür Varianten aufweist wie „ts“ für „ц“ und „kh“ für „х“, die für Deutsche, die der russischen Phonetik ebenfalls nicht mächtig sind, schwer nachvollziehbar sein können.

Abhilfe schafft in diesem Fall – wie so oft – der Duden. Im Duden der deutschen Rechtschreibung findet man (zumindest bis einschließlich zur 24. Auflage) im Regelteil Transkriptionstabellen für die international gebräuchlichsten nichtlateinischen Alphabete, so auch für das kyrillische. Bleibt noch, die Entscheidung zu treffen, welche der dort vermerkten Transkriptionen verwendet werden soll. Hier gibt es wiederum zwei Möglichkeiten.

Die erste ist die wissenschaftliche oder auch Bibliotheksumschrift. Sie ist der ISO-Norm nicht unähnlich, bietet aber eingeweihten Lesern dennoch die Chance, die Namen richtig auszusprechen. So wird das „я“ zum „ja“, das „ш“ zum „š“ und das „щ“ zum „šč“. Diese Transkription hat sich über die Jahrzehnte für Sachbücher, Literaturverzeichnisse und Bibliothekskataloge eingebürgert, sodass die wissenschaftlich orientierte Leserschaft durchaus damit vertraut ist.
Verfasst man jedoch einen populärwissenschaftlichen oder belletristischen Text, ist in jedem Fall die sogenannte Duden-Umschrift vorzuziehen, die auf rein phonetischen Merkmalen basiert. Hier wird der oben erwähnte „Павел Корчагин“ zu „Pawel Kortschagin“, es gibt kein „v“ und keine zusätzlichen (diakritischen) Zeichen über einzelnen Buchstaben. Sicher, Namen wie Mussorgskis Oper „Chowanschtschina“ bleiben damit für den deutschen Leser trotzdem mühsam zu entschlüsselnde Aussprache-Ungetüme, aber immerhin hat er die Chance, sie richtig zu lesen.

Verzichten sollte man auf die alten Varianten der Transkription von „ж“ als „sh“ (heute: „sch“) und „й“ am Wortende als „j“ (heute entfällt es nach einem и im Deutschen ganz und wird zu „i“ nach anderen Vokalen zu „i“ – „Sergei“, „Tolstoi“). Auch das „в“ am Ende eines Namens findet man nur noch in sehr alten Ausgaben als „ff“, und Eigennamen wie „Евгений“ werden inzwischen als „Jewgeni“ beibehalten und nicht zu „Eugen“ transformiert. Allerdings wird eingedeutschten Formen wie „Viktor“, „Alexander“ und „Julia“ der Vorrang vor den eigentlichen korrekteren, für den deutschen Leser jedoch ungewohnten Varianten „Wiktor“, „Aleksandr“ und „Julija“ gegeben. Dasselbe gilt für das „x“ bei der Buchstabenkombination „кс“.

Sollten sich für bestimmte Personen, beispielsweise aufgrund einer Emigration, bereits lateinische Schreibweisen etabliert haben (z. B. „Vladimir Nabokov“, „Joseph Brodsky“), so ist diese Schreibweise für den jeweiligen Namensträger (und nur für diesen!) auch im Deutschen beizubehalten.

Carola Jürchott

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