Zahlen bitte!

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Zahlen nicht übersetzt werden müssen, weil sie ja „sowieso in allen Sprachen gleich“ sind. Mit dieser Begründung versuchen Auftraggeber von Übersetzungen, den Preis zu drücken, und angehende Übersetzer müssen hinnehmen, dass ihnen, wenn auch sie diesem Irrtum erliegen, in Prüfungen wegen Ususverletzungen Punkte abgezogen werden.
Stehen Zahlen im Text, müssen die verbalen Anschlüsse natürlich übersetzt werden, doch auch die Ziffern selbst haben es mitunter derart in sich, dass selbst renommierte Museen gegen Fehlleistungen nicht gefeit sind. So findet sich auf dem deutschsprachigen Flyer, der für die Ausstellung der modernen Kunst wirbt, die Angabe des 20. Jahrhunderts als römische Zahl, was im Deutschen völlig unüblich ist. Hier werden Jahrhunderte grundsätzlich mit arabischen Ziffern angegeben.

Ein weiterer erheblicher Unterschied findet sich bei der Darstellung großer Zahlen im Russischen und Deutschen. Während es im Russischen ganz normal ist, Tausender als Dezimalzahlen anzugeben wie etwa „45,6 тыс.“, ist eine derartige Struktur im Deutschen außer in statistischen Tabellen erst im Millionenbereich zulässig. „45,6 тыс.“ kann im Deutschen entweder mit einem Punkt als Trennzeichen für die Tausenderstellen angegeben werden: „45.600“ oder mit einem Leerzeichen an derselben Stelle: „45 600“. Beide Möglichkeiten gelten auch für größere Zahlen. 45,6 Millionen können neben dieser ausführlichen Schreibweise also auch folgendermaßen angegeben werden: „45.600.000“, „45 600 000“ oder auch „45,6 Mio.“ In jedem Fall ist zu beachten, dass im gesamten Text eine einheitliche Schreibweise verwendet wird.

Schwierigkeiten ergeben sich in letzter Zeit immer wieder durch einen Anglizismus, der mehr und mehr auch in deutschen Texten um sich greift. Im Englischen werden der Punkt und das Komma nämlich bei der Darstellung von Zahlen genau umgekehrt zum Deutschen verwendet. Während in deutschen Texten meines Wissens noch kein Komma als Trennzeichen zwischen Tausenderstellen verwendet wird, findet man gerade in deutschen Texten aus Bereichen, in denen das Englische als Lingua franca akzeptiert ist, inzwischen immer wieder den sogenannten Dezimalpunkt, d. h. die Stellen, die im Deutschen nicht ohne Grund als „Nachkommastellen“ bezeichnet werden, werden mit einem Punkt abgetrennt. Da das dem deutschen Usus widerspricht und aufgrund der anderen Bedeutung im Deutschen zu Missverständnissen führen kann, ist davon unbedingt abzusehen.
Ordnungszahlen werden im Deutschen ausschließlich mit einem Punkt gekennzeichnet, ohne eventuelle grammatische Endungen zu markieren. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass der Gebrauch von Ordnungszahlen innerhalb eines Sprachenpaars durchaus differieren kann. So werden Jahrzehnte im Russischen als Ordnungszahlen angegeben, im Deutschen jedoch nicht, sodass es auch nicht möglich ist, diese mit einem Punkt zu kennzeichnen. Hier bleibt es bei der im Duden angegebenen Schreibweise: „1970er-Jahre“ oder „Siebzigerjahre“

von Carola Jürchott

www.lust-auf-geschichten.de