Sprichwörtliche Zeitgenossen (1)

Sicher haben Sie, liebe Leser, schon einmal den Begriff „Bedrohte Wörter“ gehört oder gelesen. In der Sprachwissenschaft gelten diese als „archaisch“, im Duden findet man dahinter den Zusatz „veraltet“ oder, wenn dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, „veraltend“. Dennoch sollte man als Autor meines Erachtens diese Wörter nicht von vornherein ad acta legen. Sie können uns immer noch sehr dabei helfen, die eigene Ausdrucksweise vielfältiger zu gestalten und möglicherweise auch fiktive Figuren durch ihren Sprachgebrauch genauer zu charakterisieren.

Manch einer dieser Begriffe kann auch schon dadurch hilfreich sein, dass er einem russischen so nahe kommt, dass man ihn trotz der etwas angestaubten Anmutung immer noch gut als deutsche Entsprechung dafür verwenden kann. Wie umständlich müsste man schließlich den „мастер на все руки“ umschreiben, wenn es den deutschen „Tausendsassa“ nicht gäbe?!

Aus diesem Grund möchte ich Ihnen hier in loser Folge, thematisch geordnet, immer wieder einmal Wörter vorstellen, die eigentlich schon in der sprachlichen Mottenkiste gelandet sind, aber dennoch zugunsten der Bildhaftigkeit eines Textes hier und da wieder hervorgeholt werden könnten.

Anfangen möchte ich mit den jüngsten unserer Zeitgenossen. Sicher hat jeder für seine Kinder und Enkel eigene Kosenamen und Bezeichnungen, einige aber haben die Beschreibungen von Kindern über viele Jahre geprägt und vermitteln damit auch eine Vorstellung vom einstigen Umgang mit ihnen. Heute sind sie aus dem Alltagsgebrauch eigentlich verschwunden und können nur noch als Auflockerung dienen oder ironisch verwendet werden.

Da ist zunächst der Dreikäsehoch – ein Junge, der gerade einmal laufen konnte und kurz darauf zumindest in Berlin und Umgebung zum Steppke wurde. Diese Bezeichnung hatte außer der Körpergröße und dem Lebensalter jedoch noch eine weitere Konnotation: Diese Jungen galten als „pfiffig“ oder, wie man heute noch manchmal sagt, als „helle Köpfchen“.

Ebenfalls wertend waren natürlich der Wildfang, der trotz des männlichen grammatischen Geschlechts in der Regel ein besonders lebhaftes Mädchen bezeichnete, und der Springinsfeld, der vorrangig zur Charakterisierung von ebenso aktiven Jungen zum Einsatz kam. (Hierfür findet sich in einigen Nachschlagewerken übrigens auch die Bedeutung „leichtsinniger Mensch“, und das wohl altersunabhängig.)

Waren nun all diese Gören, wie man in Berlin mal scherzhaft und mal tadelnd sagte, oder Pänz, wie sie auch heute noch im Rheinland genannt werden, den sprichwörtlichen Kinderschuhen entwachsen, wurden sie zum Backfisch oder Jungspund.

Woher die Bezeichnung „Backfisch“ kommt, ist umstritten. Plausibel erscheint mir jedoch, dass sie auf das englische backfish zurückgeht, mit dem Angler Fische bezeichnen, die noch zu klein sind, um gefangen zu werden, und die deshalb zurück (back) ins Meer geworfen werden.

Der Jungspund war aus Sicht der Erwachsenen ebenfalls „noch grün“ oder, bildlicher, „noch nicht trocken hinter den Ohren“, das heißt, er hatte noch keine Ahnung vom richtigen Leben und entsprechend viele Flausen im Kopf. Ironisch wird dieses Wort auch heute noch von Älteren gegenüber wesentlich jüngeren Personen verwendet.

Carola Jürchott

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