Sag mir, wie du heißt … (4)

Nachdem in den vorigen Blogbeiträgen im Wesentlichen auf Aspekte der Namensfindung eingegangen wurde, die bei Texten zum Tragen kommen, die in der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit spielen, betrifft die letzte Frage dieses Themenkreises auch gänzlich andere Textsorten, wie z. B. Märchen oder historsiche Romane.


Die vierte Konnotation von Namen, auf die hier eingegangen werden soll, ist die soziale, denn auch sie sollte man als Autor nicht außer Acht lassen, wenn man nach passenden Namen für seine Protagonisten sucht. So haben es die Begriffe „Kevinismus“, den der Autor Jan Weiler in einem Artikel für den „Stern“ bereits 2007 als Volkskrankheit bezeichnet hat, und „Chantalismus“ mittlerweile sogar in die Wikipedia geschafft. Mit diesen Termini bezeichnet man den Drang von Eltern, ihren Kindern möglichst exotisch klingende Namen zu geben, wie eben Kevin oder Chantal.


Häufig wird dieses Bestreben mit einem geringen Bildungsgrad der Eltern assoziiert, die ihre Anregungen für die Namensgebung aus der Pop-Kultur und damit häufig aus dem amerikanischen Kulturkreis beziehen. So soll die verstärkte Wahl des Namens Kevin nach 1990 in Deutschland auf den Film „Kevin – Allein zu Haus“ zurückgehen. Es gibt zwar etliche Gegenbeispiele, in denen auch Eltern anderer sozialer Schichten zu dieser Art Namen gegriffen haben (als Beweis dafür genügt ein Blick in die Klatschseiten der Presse, wo man auf durchaus seltsame Ideen prominenter Eltern stoßen kann), allerdings haftet diesen Namen der Makel des vermeintlichen Prekariats nach wie vor an, und auch Studien belegen, dass Personen mit Vornamen dieser Art in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen durchaus zu Unrecht benachteiligt werden können.


Auch ein Blick in die Titel derzeit lieferbarer Bücher beweist, dass diese Namen eher mit problematischen Familienverhältnissen assoziiert und ihre Träger auch nicht immer ernst genommen werden: „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey“, „Die Schanin hat nur schwere Knochen!“ und „Schantall, tu ma die Omma winken!“, Erinnerungen einer Familienpsychologin und eines Sozialarbeiters, sind ein beredtes Beispiel für dieses Phänomen.
Das Gegenteil des Kevinismus ist übrigens der Emilismus – das Bestreben von Eltern, genau diesem Klischee zu entgehen, indem sie ihren Kindern bewusst alte, traditionelle Namen geben, um ihnen das zukünftige Leben zu erleichtern.
Doch auch bei den traditionellen Formen gilt: Name ist nicht gleich Name, erst recht nicht, wenn es sich um einen historischen Erzählstoff handelt. So trugen beispielsweise Bauern, Dienstmägde und Knechte andere Vornamen als die Abkömmlinge der Adelsgeschlechter, denen sie dienten. Eine deutsche Prinzessin hätte kaum Frieda, Minna oder Klara geheißen, während die entsprechenden Langformen der Namen (Friederike, Wilhelmine oder Clarissa) durchaus auch in Adelshäusern verwendet wurden. In diesen Fällen bietet es sich auf jeden Fall an zu recherchieren, wie Könige, Prinzessinnen und andere Adelige im jeweiligen Zeitraum gewöhnlich hießen (in Preußen gab es zum Beispiel von 1701 bis 1918 keinen König oder Kaiser, dessen Name nicht Friedrich, Wilhelm oder Friedrich Wilhelm war). Sucht man nach Namen der unteren Stände, kann man zwar nicht einfach in ein Lexikon sehen; ein Blick in literarische Werke der betreffenden Zeit hilft einem jedoch auf jeden Fall weiter.

Eines sei zum Abschluss noch bemerkt. Auch bei der Namensgebung für Protagonisten gilt natürlich: Vorsicht vor Klischees! In diese Falle tappt man schnell, wenn die Absicht dabei zu offensichtlich ist. Nicht jedes in der DDR geborene Kind hieß schließlich Mandy, und nicht jeder Junge aus den sogenannten bildungsfernen Schichten heißt Kevin. Dass Klischees sehr schnell auch in Rassismus übergehen können, wird spätestens dann deutlich, wenn Jugendliche aus Brennpunktvierteln quasi automatisch türkisch klingende Vornamen tragen, ohne dass das für den Verlauf der Geschichte eine tiefere Bedeutung hätte. Deshalb sollte jeder Autor die Namen seiner Protagonisten sehr sorgsam wählen, und ich hoffe, Sie haben hier einige Anregungen dafür gefunden.

Carola Jürchott
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