Dass ein Wort verschiedene Bedeutungen haben kann, ist keine Neuigkeit, und dass man diese Erscheinung „Polysemie“ nennt, ist ebenfalls bekannt. Genauso verhält es sich mit der Homonymie, einer Erscheinung, bei der mehrere Wörter gleich klingen und meist auch gleich geschrieben werden, aber eine unterschiedliche Bedeutung haben. Normalerweise kennt man diese Wörter und verwendet sie so, wie es für den jeweiligen kommunikativen Zweck erforderlich ist.
Schwierig wird es nur, wenn man sich des Unterschiedes zwischen beiden Erscheinungen nicht bewusst ist und sie deshalb verwechselt. Ein Wort, bei dem das im Deutschen auch Muttersprachlern besonders häufig passiert, ist das Verb „hängen“. Hier gehen viele Menschen davon aus, dass es sich um eine Polysemie handelt, die sowohl den Zustand („Das Bild hängt am Haken.“) als auch den Vorgang („Ich hänge die Schlittschuhe an den Nagel.“) bedeuten kann.
Dass es sich dabei jedoch um einen Trugschluss handelt, merkt man, wenn man beide Sätze in das Präteritum setzt. Während das Verb im ersten Beispiel stark konjugiert wird („Das Bild hing am Haken.“), ist im zweiten Fall nur die schwache Konjugation zulässig:
„Ich hängte die Schlittschuhe an den Nagel.“
Ein Blick in den Duden verdeutlicht den Bedeutungsunterschied. Dort wird „hängen“ nämlich zweimal aufgeführt (und nicht, wie es bei einer Polysemie der Fall wäre, einmal mit verschiedenen Unterpunkten, je nach Bedeutung): einmal als starkes Verb mit der ersten Bedeutung „[mit dem oberen Ende] an einer bestimmten Stelle [beweglich] befestigt sein“ und einmal als schwaches Verb mit der ersten Bedeutung „jemanden, etwas mit dem oberen Ende an einer bestimmten Stelle frei beweglich befestigen“.
Mit anderen Worten: Das starke Verb benennt den Zustand, das schwache Verb den Vorgang. Diese Unterscheidung ist aber offensichtlich nicht allen Sprechern des Deutschen klar, denn wie sonst käme es in einem Märchentext zu der Formulierung „Schneeweißchen hing den Kessel an den Feuerhaken“? Ähnliche Formulierungen trifft man auch in der gesprochenen Sprache immer wieder, wenn es zum Beispiel um das Aufhängen von Wäsche oder Ähnlichem geht, und sie betreffen nicht nur das Präteritum. Auch das für das Perfekt und das Plusquamperfekt zu verwendende Partizip II ist bei beiden Verben unterschiedlich. Während es für das starke Verb „gehangen“ lautet, heißt es für das schwache Verb „gehängt“.
Deshalb ist es vor dem Gebrauch von „hängen“ immer ratsam, genau zu überlegen, ob etwas „gehängt wurde“ oder „gehangen hat“. Auf jeden Fall wurde es zuerst gehängt und hat danach gehangen. Da hier das Thema der Märchen schon einmal angeklungen ist, möchte ich Ihnen ein weiteres Beispiel nicht vorenthalten: Auch das Verb „verwünschen“ hat, je nach Bedeutung, ein starkes und ein schwaches Partizip II. Während die gebräuchlichere schwache Form ein Synonym zu „verfluchen“ darstellt („sie hat ihr Los oft verwünscht“), findet man die veraltete starke Form tatsächlich nur noch in Märchen, denn sie gehört zu der Bedeutung „verzaubern“, und verwunschene Prinzen, Schlösser etc. treten nun einmal vorrangig in diesem Kontext auf.
Carola Jürchott