Fremdwörter sind Glückssache

„Wenn Sie ein Wort nicht kennen, latinisieren Sie!“

Dieser Rat, der uns im Studium im Dolmetschunterricht vermittelt wurde, mag einen beim Simultandolmetschen vor peinlichen Pausen und dem Verlust des roten Fadens bewahren, in der Übersetzungspraxis jedoch kann er sich häufig als fatal erweisen. Korrigiert man nämlich einen Text, der das Ergebnis dieser Maxime sein könnte, hat man häufiger den Eindruck, das in der Überschrift zitierte Bonmot könnte tatsächlich zutreffen.

Da liest man dann unter Umständen von einem „Naturmort“, das im Deutschen nicht einmal, wie im Französischen, „nature morte“ genannt wird, sondern als „Stillleben“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist, oder muss im historischen Kontext erst einmal darauf kommen, dass mit der „Arena der Kampfhandlungen“ ein „Kriegsschauplatz“ gemeint ist.

Auch wenn das Thema der falschen Freunde hier schon behandelt wurde, möchte ich heute im Zusammenhang mit den Fremdwörtern noch einmal genauer darauf eingehen. Es ist nämlich, wie die obigen Beispiele belegen, mitnichten so, dass Fremdwörter in allen Sprachen dasselbe bedeuten.

So sind die einen in einer Sprache völlig geläufig (wie „натюрморт“) und in der anderen gänzlich unbekannt, andere wiederum haben eine andere oder leicht veränderte Bedeutung. So kann ein Unternehmen im Russischen zwar „перспективно“ sein, im Deutschen würde man hier jedoch von „aussichtsreich“ oder auch „mit einer guten Perspektive“ sprechen, weil das Adjektiv „perspektivisch“ nur bedeutet, dass etwas die Perspektive betrifft oder darauf beruht. Eine qualitative Einordnung ist damit jedoch nicht verbunden.

Ein Fragment ist im Deutschen ein Bruchstück oder etwas Unvollendetes, von einem „Fragment des asiatischen Teils des Russischen Reiches“, wie ich es neulich in einem Text gelesen habe, würde hier jedoch niemand sprechen.

Ich sehe ein, dass die Versuchung groß ist, ein Wort wie „prävalieren“ einfach zu übernehmen, allerdings sollte man sich dann auch dessen bewusst sein, dass es im Deutschen als „bildungssprachlich veraltend“ gekennzeichnet ist und daher immer weniger gebraucht wird.

Auch russische Wörter, die im Deutschen mit einem Fremdwort wiedergegeben werden können, sind unter Umständen mit Vorsicht zu behandeln. So könnte man meinen, „уточнить“ hieße immer „präzisieren“, doch das ist leider nicht der Fall. Je nachdem, ob etwas Konkretes noch genauer bestimmt werden soll oder eine vormals fehlerhafte Angabe berichtigt wird, muss es entweder mit „präzisieren“ oder mit „korrigieren“ wiedergegeben werden, was im jeweiligen Kontext einen erheblichen Unterschied ausmachen kann.

Nach all dem meinen Sie auch, Fremdwörter seien Glückssache? Ganz so ist es zum Glück nicht. Die genannten Beispiele sollen Sie nur dazu ermutigen, jedes Mal, wenn Sie sich Ihrer Sache nicht völlig sicher sind, einen Blick in den Duden zu werfen, um sich zu vergewissern, dass die Bedeutung, die Sie dem jeweiligen Fremdwort zuschreiben, im Deutschen tatsächlich vorhanden ist.

Und noch ein Tipp zum Schluss: Bleiben Sie bei dem Blick in den Duden nicht bei der Bedeutung stehen, sondern achten Sie auch auf die Bemerkungen zu Gebrauch und Häufigkeit des jeweiligen Wortes im Deutschen! Dann sind Sie auf keinen Fall mehr auf Fortuna angewiesen, wenn Sie wieder einmal latinisieren wollen.

Carola Jürchott

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