Vertrauen ist gut, Kontrolle besser

Unlängst stieß ich bei einer Übersetzung aus dem Russischen ins Deutsche auf den Liedtitel „Малиновый звон“ von Nikolai Gnatjuk. Zwar ist dieser Künstler auch in der DDR aufgetreten, soweit ich mich erinnern kann, beschränkte sich sein ins Deutsche übersetzte Repertoire aber auf einen Schlager mit dem Titel „Ich tanze gern“. Die Chancen, eine Nachdichtung des von mir gesuchten Titels auf Deutsch zu finden, waren also denkbar gering. Auch mit der Formulierung als solcher konnte ich nichts anfangen, weil sich mir der Zusammenhang zwischen Himbeeren und dem Klang einer Glocke nicht erschließen wollte. Deshalb zog ich Multitran zu Rate, das von mir überaus geschätzte und meist sehr hilfreiche Online-Wörterbuch. Doch was musste ich dort als Übersetzung zu „малиновый звон“ lesen? „Himbeerklang der Glocken“!

An dieser Stelle wurde ich ernsthaft stutzig und erinnerte mich wieder einmal daran, dass Multitran – ebenso wie die stark frequentierte Wikipedia – eine nutzerbasierte Plattform ist, in der jeder seine Variante hinterlegen kann. Dass das auch eine Fehlerquelle in sich birgt, liegt auf der Hand.

Doch auch grundsätzlich möchte ich im Umgang mit Wörterbüchern zu einer gesunden Skepsis aufrufen. Nutzerbasiert oder nicht – sie sind in jedem Fall von Menschen gemacht und damit auch in ihrer gedruckten Form nicht gegen Fehler gefeit. Als man uns im Studium die Terminologiearbeit und damit auch das Erstellen von Terminologiedatenbanken beibrachte, gab es in jedem einzelnen Datensatz eine Spalte für „Zuverlässigkeit“. Dort sollten wir auf einer Skala von 1-5 bewerten, wie zuverlässig das jeweilige Äquivalent sein konnte. Eigenschöpfungen bekamen eine 1, Wortpaare aus Paralleltexten, die in beiden Sprachen existierten, eine 5. Wörterbücher konnten per definitionem nicht besser sein als 3.

Bei dieser Bewertung kam hinzu, dass bei Weitem nicht alle Wörterbücher einen Kontext angeben. So wurde uns in der Abiturprüfung beim Übersetzen aus dem Deutschen ins Russische quasi verboten, das entsprechende Wörterbuch zu benutzen. Wie sagte unsere damalige Lehrerin? „Verwenden Sie es nur, wenn Sie genau wissen, dass Sie das Wort kennen und im Moment nur nicht darauf kommen!“ Anderenfalls konnte es nämlich passieren, dass aus dem deutschen freudig-optimistischen Titel „Dem Festival entgegen“ im Russischen (wie im Vorjahr geschehen) bei vielen Schülern ein „Вопреки фестивалю“ wurde, weil in unserem Wörterbuch unter „entgegen“ „вопреки“ als erster Vorschlag stand und „навстречу“ erst danach kam.

Wenn man zweisprachige Wörterbücher verwendet, sei es nun online oder in gedruckter Form, empfiehlt es sich daher in jedem Fall, ein unbekanntes Wort in der Zielsprache zumindest noch einmal in einem einsprachigen Wörterbuch dieser Sprache nachzuschlagen, um sich seiner genauen Bedeutung zu vergewissern.

Den „Himbeerklang“ hat für mich übrigens ein Blick in die Wikipedia aufgeklärt. Dort erfährt man nämlich, dass „малиновый“ keineswegs etwas mit Himbeeren zu tun hat, sondern von der belgischen Stadt Mechelen abgeleitet wurde, die auf Französisch Malines heißt und im 17. Jahrhundert ein Zentrum der europäischen Glockengießerei war.

Carola Jürchott

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