Ein Auszug aus dem Buch „Bittere Bonbons“ von Milla Dümichen
Eine Bekannte sagte neulich zu mir: „Du sprichst aber gut Deutsch!“ Ihr Lob tat mir gut. Wenn ich daran denke, dass ich Deutsch erst mit 40 Jahren lernen musste, dann bin ich stolz auf mich. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Germanen ursprünglich vor ca. 10.000 Jahren aus dem Ural kamen und sich Jahrhunderte lang westwärts bis zum Schwäbischen Meer verbreiteten. Hinter dem Ural bin ich geboren. Vielleicht half mir das?
Das ist natürlich nicht ernst gemeint, aber genau in diesem Moment denke ich daran, wie viele Wörter deutscher Herkunft in der russischen Sprache zu finden sind. Im 16. Jahrhundert kamen viele Deutsche nach Moskau. Einige waren vom Zar angeworben, meist Ärzte, Lehrer, Militärpersonen oder Kaufleute. Viele deutsche Wörter wurden von den Russen aufgegriffen und sind bis heute im Umlauf: Бутерброт – Butterbrot, галстук – Halstuch, курорт – Kurort, шнур – Schnur, шахта – Schacht, штрек – Strecke.
Früher habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht, bis ich 1992 nach Deutschland kam. Dass Deutschlernen so schlimm werden würde, hatte ich nicht gedacht. Sofort belegte ich einen Sprachkurs. Als nach vier Wochen kein Erfolg zu spüren war, suchte ich mir Arbeit. Dort werde ich gefordert, dachte ich mir.
Doch ein Jahr am Fließband brachte mich auch nicht weiter. 80 Prozent der Belegschaft stammte aus Afrika, Bulgarien, Polen, aus der Türkei und sogar aus Vietnam. So konnte es nicht weiter gehen. Ich suchte mir einen anderen Job.
Ein Seniorenheim ganz in der Nähe brauchte eine Aushilfe. Zu meinem Erstaunen stellten sie mich trotz meiner mangelhaften Deutschkenntnisse ein. Hier konnte ich endlich die Sprache lernen. Kollegen und Patienten verwickelten mich in Gespräche, ohne Gedanken daran zu verschwenden, ob ich sie verstehe. Da ging es mit dem Deutschlernen zügig voran. Allerdings nicht ohne Pannen.
Jeden Abend schrieb ich einen Bedarfszettel. Als die Chefin an einem Morgen um sechs Uhr früh den Zettel im Keller las, weckte sie mit ihrem lauten Lachen auch den letzten Bewohner. Ihr Mann machte sich Sorgen und eilte zu ihr. Tränen wegwischend, entschuldigte sie sich bei mir. Ich hatte statt Hundefutter Futterhunde notiert!
Noch eine halbe Stunde später sagte jemand: „Haben wir jetzt Futterhunde oder nicht?“ Und schon bogen sich wieder alle vor Lachen. Zunächst hatte ich es als Blamage empfunden, aber dann lachte ich einfach mit. Ich hatte gelernt, mit solchen Situationen umzugehen und suchte Kontakt zu Menschen. Ich wünschte mir, in meiner neuen Heimat angekommen zu sein, Freunde zu haben, mit denen ich lachen und feiern konnte.
Ich wollte in die Gesellschaft aufgenommen werden, Fragen nicht nur mit einem kurzen Ja oder Nein beantworten, sondern lebendig diskutieren. Indem ich über meine manchmal komisch klingenden Fehler selbst gerne lachte, legte ich die Scheu ab, deutsch zu sprechen. Sehr selten hatte ich das Gefühl, wegen meiner Sprache abgelehnt zu werden, und ich bat alle meine Bekannten und Kollegen ausdrücklich, mein Deutsch zu korrigieren. Aber noch heute gelingen mir fast täglich neue Lacherfolge.
Beim Einkaufen möchte ich gern mein Lieblingsbrot mitnehmen. „Sollen wir wieder Pimpernuckel kaufen?“, frage ich meinen Mann, der vor mir geht. Seine zuckenden Schultern verraten es mir. Schon wieder habe ich etwas Falsches gesagt.
Am letzten Freitag probierte mein Mann Schuhe im Schuhgeschäft an, zieht die Hosen etwas in die Höhe und fragt mich, ob es gut aussehe. „Lass doch die Hose runter“, fordere ich ihn auf. „Das hättest du wohl gern“, schmunzelt er. Hinter uns erschallt lautes Lachen. Es ist mir zwar peinlich, aber ich lache tapfer mit. Mein Mann ist mir eine große Hilfe, aber manchmal beschert er mir solche Lachnummern.
In meinem Kosmetik- und Fußpflege-Studio zeigte mir eine alte Dame ihre Füße und erzählte mir, dass sie selbst versucht habe, ihre Probleme zu lösen. Ich riet ihr, nächstes Mal sofort zu mir zu kommen, anstatt selbst an ihren Füßen herumzufummeln. Ihr Gesicht wurde ernst, sie richtete ihre Schulter gerade auf und sagt mir: „Sie sprechen aber gut deutsch!“ Ich merke, irgendwie ist sie jetzt anders gelaunt, verstehe aber nicht warum. Zuhause werde ich freundlich, aber bestimmt aufgeklärt: „Ladylike ist das nicht.“ – „Aber du sprichst doch auch so,“ werfe ich meinem Mann vor. Wir greifen oft zum Duden, um Wörter richtig zu benutzen. Wenn ich dann sehr frustriert über meine schiefe Ausdrucksweise bin, tröstet er mich damit, wie sich in seiner Schulzeit in den 60er Jahren Schüler bemühten, die deutsche Sprache zu verunstalten. Sie gingen im statt ins Bett, und sie waren am Spielen dran. Es scheint also nicht nur mein Problem zu sein: Deutsche Sprache, schwere Strafe.
In diesem Sinne: Mein und dein verwechsele ich nicht, das kommt bei mich nicht vor!
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