Vorsicht mit Intrigen!

Dass eine Erzählung oder ein Roman durch eine geschickt platzierte Intrige erheblich an Spannung gewinnen kann, ist sicher unbestritten. Allerdings gilt das im Russischen noch wesentlich mehr als im Deutschen. Das liegt jedoch keineswegs daran, dass russische Romanfiguren intriganter wären als deutsche. Vielmehr handelt es sich dabei wieder einmal um einen der hier schon so oft zitierten Falschen Freunde – ein Begriff, der wohl bei kaum einem anderen Thema so passend war wie hier.


So fragte mich kürzlich ein russischsprachiger Bekannter, wie man es auf Deutsch formulieren würde, wenn man ein Werbevideo mit einer Begebenheit oder einem anderen Einstieg beginnt, der die Zuschauer sozusagen „ködern“ soll. Er schlug vor, als Schlagwort das deutsche „Intrige“ dafür zu verwenden, und war ziemlich erstaunt, als ich ihm geradeheraus sagte, dass ich das auf keinen Fall tun würde. Was er meinte, war nämlich das russische „интрига“ in seiner Bedeutung als etwas, das einen neugierig macht.


Will man jedoch nicht Gefahr laufen, dass der Leser oder Zuschauer dahinter gleich ein arglistiges Ränkespiel vermutet, sollte man auf jeden Fall einen anderen Begriff verwenden, denn die zweite Bedeutung, die übrigens auch bei Weitem nicht in allen russischen Wörterbüchern verzeichnet, in letzter Zeit aber zunehmend im Sprachgebrauch zu finden ist („etwas Unausgesprochenes, das jemandes Interesse weckt“), gibt es im Deutschen so nicht.
Dasselbe gilt auch für alle Ableitungen, die mit dieser Bedeutung zu tun haben. So kann man den Ausruf: „Ну, ты меня заинтриговал!“ natürlich nicht mit dem deutschen Verb „intrigieren“ übersetzen, sondern muss zu einer Umschreibung greifen wie: „Jetzt hast du mich aber neugierig gemacht!“
Dasselbe gilt für das Adjektiv „интригующий“, das nicht immer mit „intrigant“ wiederzugeben ist, denn intrigant kann im Deutschen nur ein Mensch sein, jemand, der eben hinterhältig ist und laut Duden ständig auf Intrigen sinnt. Diese Bedeutung gibt es im Russischen zwar auch, aber in dem Fall, von dem hier die Rede ist, muss man auf Adjektive wie „interessant“, „spannend“ oder auch „reizvoll“ ausweichen.


Für alle, deren Neugier mit diesen Beispielen geweckt wurde, noch eine kurze Anmerkung zum Schluss: Auf die russische Formulierung, etwas sei „любопытно“, trifft im Deutschen Ähnliches zu, denn auch „neugierig“ kann hier nur eine Person sein und kein Sachverhalt – und diese Einschätzung ist auch bei Weitem nicht immer positiv gemeint.


Carola Jürchott
www.lust-auf-geschichten.de