Dem in der Überschrift genannten Begriff begegnen wir in den Medien immer wieder, und bereits in der Schule wird den Kindern diese Grundlage der Demokratie beigebracht. Sie wissen, was Legislative, Judikative und Exekutive sind, aber über die grammatischen Besonderheiten des Substantivs „Gewalt“ machen sie sich häufig keinerlei Gedanken. Dass es sich hierbei in den meisten Fällen (abhängig von der Bedeutung) um ein Singularetantum handelt, also ein Wort, das nur in der Einzahl vorkommt, ist vielen sicher eher intuitiv bewusst. So gibt es die Form „Gewalten“ nur im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung oder aber den Naturgewalten. Sowohl die Gewalt als physischer (oder auch psychischer) Übergriff als auch die juristisch relevante höhere Gewalt existieren, ungeachtet ihrer Stärke, nur im Singular.
Auch in den Texten, die ich zum Korrekturlesen bekomme, stellt diese Spezifik in der Regel keine große Schwierigkeit dar. Anders sieht es hingegen mit den Adjektiven aus, die mit dem Wort „Gewalt“ gebildet werden können. So ist beispielsweise häufig von der „gewalttätigen Vertreibung der Wolgadeutschen“ die Rede. Diese Tatsache ist zwar völlig unbestritten, allerdings ist die Formulierung sprachlich dennoch nicht korrekt, da es zwei Adjektive gibt, die von dem Substantiv „Gewalt“ abstammen: „gewalttätig“ und „gewaltsam“.
Während sich „gewalttätig“ immer auf den Täter (im wahrsten Sinne des Wortes) bezieht, also einen Menschen bezeichnet, der zur Gewalt neigt oder dazu greift, ist mit „gewaltsam“ immer die Handlung oder der Prozess, die oder der unter Einwirkung von Gewalt vollzogen wird oder sich vollzieht. So kann man beispielsweise laut Duden „ein gewaltsames Ende nehmen“, d. h. eines unnatürlichen Todes sterben, oder sich gewaltsam Zutritt verschaffen.
Doch auch wenn die Polizei einmal eine Tür gewaltsam öffnet, sollte man den einzelnen Polizisten nicht von vornherein unterstellen, sie wären gewalttätig.
Dass an einer gewaltsamen Vertreibung auf der Täterseite gewalttätige Menschen beteiligt sind, steht natürlich außer Frage, dennoch sollte man die beiden Adjektive ebenso sauber trennen wie die Tat und den Täter.
Carola Jürchott
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