Keine Sorge, dies wird kein Artikel über das Gendern oder den aktuellen Stand der Feminismus-Debatte. Diese Büchse der Pandora lasse ich wohlweislich geschlossen, scheue mich aber nicht, dafür eine andere zu öffnen, deren Inhalt einem nicht erst beim Übersetzen, sondern bereits beim Spracherwerb begegnet, wenn man die erste Fremdsprache erlernt. Gemeint ist die Tatsache, dass Substantive in verschiedenen Sprachen auch ein unterschiedliches Genus aufweisen können, das sich bei Weitem nicht immer nach dem natürlichen Geschlecht richtet, wie es praktischerweise im Englischen der Fall ist.
Auch die Tatsache, dass es in einigen Sprachen, wie etwa im Spanischen, ausschließlich männliche und weibliche Substantive gibt und damit nur noch zwei Varianten vorhanden sind, hilft für diese Betrachtung bloß mäßig weiter. Das Problem ist nämlich nicht die Anzahl der Geschlechter, sondern ihre unterschiedliche Zuordnung. So wurde mir beispielsweise einmal von einem Spanisch-Muttersprachler erklärt, es sei ganz natürlich, dass, wie es im Spanischen der Fall ist, die Sonne männlich ist und der Mond weiblich; schließlich leuchte die Sonne ja auch viel stärker, und so stehe eben der Mond für das schwache Geschlecht und die Sonne für das starke. Seine Verblüffung war relativ groß, als ich ihm mitteilen musste, dass das mitnichten in allen Sprachen der Fall ist.
Was beim Spracherwerb eine Schwierigkeit sein kann, weil man sich zusätzlich zu den Vokabeln auch noch ihr jeweiliges Geschlecht einprägen muss, wird beim Übersetzen zum echten Problem. Natürlich kann man von einem Übersetzer erwarten, dass er das Genus der Wörter kennt, die er verwendet, und in den meisten Fällen klappt das auch. Schwierig wird es in der Regel, wenn dasselbe Substantiv kurz darauf durch ein Personalpronomen ersetzt wird oder ein Possessivpronomen darauf hinweist.
An dieser Stelle passiert es immer wieder, dass in einer Übersetzung aus dem Russischen ins Deutsche zwar zunächst von „dem Platz“ die Rede ist, im nächsten Satz aber „ihre Schönheit“ gepriesen wird, weil man einfach das weibliche Pronomen aus dem Russischen, wo „площадь“ bekanntlich ein Femininum ist, übernommen hat. Taucht ein solches Pronomen vielleicht erst einige Sätze später auf, hat es auch der Korrektor der Übersetzung schwer, sich zurechtzufinden, weil er erst einmal das Substantiv suchen muss, auf das sich das falsche Pronomen beziehen könnte. Einem Leser, der nur die Sprache der Übersetzung beherrscht, ist das eigentlich nicht zuzumuten, weil es ihn aufgrund der Unkenntnis der Sprache des Originals schlicht überfordern muss.
Leider schleichen sich aber auch im täglichen Sprachgebrauch und in den Medien in letzter Zeit immer wieder Fehler dieser Art ein, wobei es nach meinen Beobachtungen immer so ist, dass auf ein weibliches Substantiv das männliche Possessivpronomen folgt: „jede Zeit hat seine Veränderungen“, „jede Sache hat sein Wenn und Aber“, „jede Epoche hat seine Macken“. Selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist dagegen nicht gefeit.
Ob diese Fehlleistungen darauf zurückzuführen sind, dass einem zuerst das männliche Pronomen durch den Kopf schießt, oder darauf, dass „sein“ statistisch im Singular möglicherweise häufiger vorkommt, weil es sowohl ein Maskulinum als auch ein Neutrum bezeichnen kann, vermag ich nicht zu sagen. Ich bin mir aber sicher, dass sie denjenigen, die auf eine korrekte Sprache Wert legen, jedes Mal einen Stich versetzen.
Deshalb sollte man besonders als Autor unbedingt darauf achten, dass das Pronomen mit dem Nomen übereinstimmt, auf das es sich bezieht.
Carola Jürchott