MAX SCHATZ: SONETTENFLECHTER

Eine Rezension von Dr. Wendelin Mangold

Durch seine Sonettenkränze hat Max Schatz, zuletzt in seinem Band „Nihilschwimmer“ (2020), die Messlatte der russlanddeutschen Lyrik hoch gelegt. Nun muss jeder, der sich in unsere Lyrik einreihen will, damit messen lassen laut der Redewendung „Erst die Pflicht, dann die Kür!“ 

Lyrik ist kein Spiel, und wer sich ihrer Formen bedienen will, muss es verstehen, den Inhalt in die entsprechende Form zu gießen. Dabei gibt es einfache Formen wie zum Beispiel die Volksliedstrophe und anspruchsvolle Formen wie zum Beispiel das Sonett. Jede Form hat ihren Ursprung und ihre Geschichte, so auch das Sonett.

(c) privat

Die meisten Dichter der Gegenwart gehen lieber dieser Form aus dem Weg. Schuld daran ist das kritische, negative und ablehnende Verhalten gegenüber dem Sonett der modernen und besonders der postmodernen Poesie. Die zaghafte Rückkehr zum Sonett ist noch nicht so richtig in Gang gekommen, aber immerhin wird ab und zu ein Sonett verfasst. Die Abkehr von der klassischen Form des Sonetts ist zu beklagen, da jeder meint, er wäre ein Dichter allein durch das abfällige Verhalten zum Sonett. Oft wird als modern angesehen, wenn alles über Bord geworfen wird (Rhythmus, Reim, Strophe), als ob ein formloses Gedicht aussagekräftiger wäre, was ein Trugschluss ist.

Wenn schon ein Sonett eine strenge, disziplinierte Form ist, so ist ein Sonettenkranz eine doppelt, wenn nicht dreifach kompliziertere Form, bestehend aus 14 zusammenhängenden Sonetten und dem abschließenden fünfzehnten Sonett, Meistersonett oder italienisch Magistrale genannt. Nicht umsonst heißt diese Form italienisch und englisch „corona“. Also ist sie die Krone unter den lyrischen Formen. Das will schon etwas bedeuten!

Wer sich dazu wagt, kann leicht scheitern, dazu muss man schon Mut und starken Willen haben. Es verlangt ein geschultes Feingefühl und eine hohe Intelligenz. Diese Form ist vergleichbar mit dem Ballett unter den Bühnenkünsten, das nicht unbedingt jedem bekommt; es gibt genug solche, die Ballett als intelligenten Schnickschnack ablehnen, es sei etwas für die Bohème, für die vom realen Leben Abgewandten, für die nicht proletarisch Bodenständigen.

Was hat sich unser Max Schatz dabei gedacht, als er eben diese strengste Form für seine Werke auswählte? Wohl weniger um anderen als vielmehr sich selbst zu beweisen, dass er sie beherrscht, in Deutsch und notfalls auch in Russisch! In der russlanddeutschen Literatur kenne ich nur ein anderes Beispiel, nämlich den Sonettenkranz von Reinhold Leis „Die Muttersprache“, wobei es um ein lebenswichtiges Thema der Russlanddeutschen geht, da der Verlust der deutschen Muttersprache mit dem Verlust ihrer Identität einherging.

Nun hat Max Schatz ein wunderbares Buch mit Sonettenkränzen unter dem originellen Titel „Nihilschwimmer“ im ostbooks Verlag herausgebracht. Das Buch vereinigt sieben eigene Sonettenkränze, dazu zwei übersetzte Sonettenkränze („Wermutkranz für Maximilian Woloschin“ von Elena Seifert und „Rosarium“ von Sergej Kalugun), in denen er sich als glänzender Nachdichter bewiesen hat. Ein einmaliger Band, wichtige Themen wie die Suche nach dem Sinn des Lebens. Jeder Sonettenkranz ist ein aufs Engste durch das Thema inhaltlich und formell verbundener Gedichtzyklus, der ein lebenswichtiges Thema vielseitig lyrisch behandelt, das dann im Meistersonett zum Schluss gebündelt wird. Und das auf einem riesigen Wortschatzfeld aufgebaut. Nun der Reihe nach.

Sternenblumenkerne“: Gedanken („die letzte Hoffnung: Sternenblumenkerne.“, S. 14), Glauben und Liebe („Die stärkste Waffe ist die Kraft zu lieben …“, S. 12), Stärken und Schwächen, Zweifel und Zuversicht, Probleme und Irrtümer, Sorgen um die Zukunft der Natur, der Erde …

Liebes … totes Tagebuch“: Es spricht mich besonders an, da es Probleme eines jungen Menschen (1992 mit elf Jahren ausgewandert – Autobiografisches) einer russlanddeutschen Aussiedlerfamilie behandelt, Brechungen und Zerrissenheit („gespalten in zwei Hälften: Ich und Ich.“, S. 18), das Gefühl der Fremdheit („Ich wär‘ geblieben, klar, im kalten Norden – / dort, wo für Europäer mag er sein.“, S. 19) bis zur Enttäuschung („Hier ist es dann zur vollen Pracht erblüht, / doch eine Blüte ist noch keine Blume,“, S. 19) und nostalgische Erinnerungen („Herz schmerzt sich frei vom Nostalgieentzug.“, S. 25). Im Großen und Ganzen sind es Erinnerungen an das Leben dort und Gemütswandlungen hier („ich schau‘ zurück auf zwei ungleiche Leben.“, S. 25).

Allein gegen das Milieu“: Der lyrische Held, ein mit schriftstellerischer Begabung gesegneter junger Mensch, rechnet ab mit dem Muffigen, Oberflächlichen und ist auf der Suche nach sich selbst („Die Scheinzufriedenheit, sie drückt, sie würgt, / des Ungesagten Brechreiz schürt den Zank / der hundert Ichs, die deine Seele birgt“, S. 28), dabei spart er nicht mit Kritik („Sortiert, geheftet … voll gedruckt mit Lügen, / ist die Gesellschaft an sich kontrovers, / will rücksichtslos perfekt sein, wer pervers / das fremde Leid dahinstellt als Vergnügen.“, S. 29), oder („Die Krokodile seh’n dich gern zerfleischt, / als würde laut deine OP geheischt, / so oder so – sie werden dich schon kriegen.“, S. 31).

An einem Schneckentag“: Hier wird das ewige Thema der Liebe, der stärksten und tiefsten Gefühle, behandelt („Damit an einem Schneckentag / den Drang nach dir ich kühlen mag / mit Schnee, der lag auf deiner Mütze.“, S. 39), der lyrische Held schwelgt in Träumereien („ich lande sanft wie ‘n Floh auf Klee / in deinen Armen, die umschlingen / mich froh, und zügeln mein Besingen / nur feuchte Lippen einer Fee …“, S. 40), („Ich bin bereit, still zu verdorren / vor deines Paradieses Toren – / und sollt‘ ich drinnen schmoren bloß.“, S. 45), („Der Augenblick, den nur wir teilen, / ist mystisch trüb – wie mein Abseilen / in heiklen Rausch von deinem Schoß“, S. 45), („Gefühle! Ihr noch nicht Geschlüpften! / Ihr seid die Sterne hingetupften / auf Schöpfers dunklen Overall.“, S. 43) – wer so schreibt und schreiben kann, ist zweifelsohne mit dichterischem Talent gesegnet!

Leben und Tod von Godehard Drachenhund“: Hier wird die Frage der Fragen behandelt, nämlich wer bin ich, was bin ich, was ist der Sinn des Lebens, die Endlichkeit des Lebens, inwiefern sind Leben und Tod verquickt und in diesem Zusammenhang das Werden eines Dichters, dessen Talent im Kindesalter verkannt wird („Gott geizte nicht mit Leben, Raum und Zeit, / erfreu dich an der Dinge Einfachheit! / Noch bist ein Funke nur, noch keine Flamme.“, S. 49). Er erkennt die Zweifel und Schaffensqualen („Bald hülltest du dein Herz in schwarzen Teer / und wurdest jemand einer andren Sorte, / dein Geist fand Ruh‘ im Feuerwerk der Worte, / dein Gästebuch jedoch blieb ziemlich leer. // Dann warst du ausgebrannt, die Last war schwer, / und gleich vergess’ner Kerze auf der Torte, / auch durchgebrannt, um dich eine Eskorte / aus Schuldgefühlen, wie die Feuerwehr.“, S. 50).

Irrungen und Wirrungen ausgesetzt („Ach, dieser stete Drang, erhört zu werden! / Als gebe es kein andres Ziel auf Erden – / dem Herdentrieb abschwören für den Ruhm.“, S. 54), von Zweifeln geschüttelt und gerüttelt („Nun, abzulegen in sich den Narziss, / geht auch, vielleicht nicht heute oder heuer.“ , S. 58), kommt er zum Schluss, dass die Suche des Wegs zu Gott das Richtigste ist („Weil jeder ein Stück selbst der Architekt / auf langem Weg zu ihm als ewig‘ Feuer.“, S. 57).

Die Wiederkehr“ (ursprünglich in Russisch verfasst): Praktisch ist der lyrische Held voller Sorge um die Umwelt, um den Planeten Erde, insofern brandaktuell („Verstumpfte Sinne, Wissensüberschuss, / im Müll der Zeit so vieles ist verschollen … / Wohl niemand sah die Hölle an den Polen – / als kippe der Planet vor Überdruss.“, S. 63), und sollte es so weitergehen, ist der Weltuntergang nahe („Weltfundament, die Fäule aller Fäulen, / all der Zivilisationen Schlick, / ward schon so dick, dass, suchend sein Geschick, / verschwand das Firmament auf Wassersäulen.“, S. 63), („Hier gibt’s nur einen Gott – den Tod. Und nicht /die Spur von Hoffnung hört man aus den Kehlen / all hilflos Strandender, die jäh zerschellen / am Ufer Schwefelmeeres, gelb wie Gicht.“, S. 65). Er brandmarkt das Dagegennichtstun wie Buddha, („der schweigend schwelgt in absoluter Ruh‘… // beobachtet-betrachtet, wie zum Spielball / der Mächte wird der heimische Planet,“, S. 65) und warnt vor der Wiederkehr dessen, was schon mal war („Wie durch das Leichentuch des Ascheregens / Gott Anu fliegt in funkelndem Vimana / und Hitler in gestähltem Haunebu …“, S. 65).

Das wäre die Apokalypse! Jedoch kann der Mensch, der nicht perfekte, („weil es Gott vielleicht so wollte“, S. 68), der („umgepolte“, S. 69) das ändern, kehrt er zurück zum Sinn des Lebens („Und unser Sinn ist Ariadnes Faden, / und unser Sein ist eine Wiederkehr / unter der weh’nden Fahne von der Farbe // Indigoblau. Im Sonnenglanz wir baden, / zuprostend, dass die ERDE aufersteh‘, / denn unser Sein ist eine selt’ne Gabe.“, S. 69).

 „Spektrakel“: Es ist der innovativste Sonettenkranz, alle Satzzeichen fallen, bloß am Schluss des Sonettenkranzes steht ein Ausrufezeichen, und alles (Satzanfang, Substantive) außer den Farben wird kleingeschrieben. Er ist ein Feuerwerk, ein Karussell der Gefühle in den Farben WEISS, GRAU, ROT, GELB, GRÜN, BEIGE, BUNT, VIOLETT, SCHWARZ, ORANGE, BRAUN, BLAU, PURPUR, LILA, INDIGO, TÜRKIS, CYAN, GOLD, SILBER, BRONZE und PLATIN.

Nun, so viel zum Schlusswort: Ich musste mich zurückhalten, was die Bildlichkeit und den Ausdruck betrifft, denn das sind ganze sieben große Werke, auch über Schatz‘ Übersetzungen habe ich kein Wort fallen lassen. Denn das wäre alles viel zu viel für mich gewesen, obwohl ich mir eine ganze Reihe von treffenden Randbemerkungen gemacht habe. Aber das überlasse ich lieber einem Anderen.

Ich hoffe, nein, ich bin überzeugt, dass die Kenner und Liebhaber der Poesie die Sonettenkränze von Max Schatz nicht nur bewundern und schätzen, sondern auch lesen und genießen werden!

Mehr Details über den Autor Max Schatz erfahren Sie auf seiner Autorenseite.

Das Buch von Max Schatz wurde herausgegeben vom Literaturkreis und dem Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland. Es ist zu beziehen über den ostbooks Verlag. E-Mail: kontakt [at] ostbooks [punkt] de oder Tel.: 05221-762944.