Eine der beim diesjährigen Autorenseminar in Oerlinghausen am häufigsten gestellten Fragen war die nach den Unterschieden bei der Interpunktion im Russischen und im Deutschen. Auch ich halte diese Frage für sehr relevant, weil ich beim Korrekturlesen immer wieder feststelle, dass das einer der Punkte ist, mit denen sich selbst Autoren schwertun, die seit Jahren sehr gut und auch erfolgreich auf Deutsch schreiben. Deshalb möchte ich in diesem und den zwei kommenden Beiträgen auf wichtige Punkte eingehen, in denen sich die Zeichensetzung der beiden Sprachen erheblich voneinander unterscheidet.
Der Gedankenstrich wird im Russischen wesentlich häufiger verwendet als im Deutschen. So ist es im Deutschen durchaus üblich, etwa ein Verb, das sich auf mehrere Personen bezieht, einfach wegzulassen, ohne die Auslassung jedoch durch einen Gedankenstrich zu kennzeichnen:
„Er war vierzehn Jahre alt und ich erst zwölf.“
„Die eine Fabrik produzierte Tapeten, die andere Geschenkpapier.“
Häufig wird im Deutschen an den Stellen, in denen im Russischen ein Gedankenstrich steht, auch ein Doppelpunkt verwendet. Das betrifft in erster Linie Satzkonstruktionen, bei denen auf etwas Konkretes hingewiesen werden soll. Hiermit sind insbesondere Aufzählungen und Erläuterungen gemeint:
„Einige Teile werden im Laufe der Woche nachgeliefert: Hefte, Bücher und Büroklammern.“
Auch wenn etwas vorher Gesagtes zusammengefasst oder eine Schlussfolgerung gezogen werden soll, steht an dieser Stelle im Deutschen eher ein Doppelpunkt.
„Das Haus, der Hof, die Stallungen: All das war Teil des Bauernhofs.“
„Stets und ständig Partys, Gelage und Feiern bis spät in die Nacht: Das kann auf die Dauer nicht gutgehen!“
In der gesprochenen Sprache kann man an der Betonung eines Satzes ebenfalls erkennen, wann in solchen Fällen ein Doppelpunkt steht: Hier geht die Intonation des Sprechers nach oben, und meist folgt eine „bedeutungsschwere“ Pause, um dem darauffolgenden Fazit das nötige Gewicht zu verleihen.
Carola Jürchott