„Meine Herzenswunde blutet …“

In Erinnerung an Dominik Hollmann – zum 120. Geburtstag

von Nina Paulsen

Wie lange soll der Frost noch dauern? / Wann scheint die Sonne warm und mild? / Wann darf auf heimatlichen Auen / mein Volk vereint ich wieder schauen – / des Sehnsuchtstraumes süßes Bild.

(c) Privatarchiv R. Bender

In diese Zeilen aus seinem Gedichtzyklus „Meine Herzenswunde blutet…“ hat Dominik Hollmann seinen ganzen Herzensschmerz über die erniedrigende und rechtlose Lage seiner Volksgruppe gelegt. Das Problem der Gleichberechtigung der Russlanddeutschen in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg hat den anerkannten Prosaschriftsteller und Lyriker, Essayisten und Publizisten, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Zeit seines Lebens beschäftigt. Er hatte nie aufgehört, den Anspruch der Russlanddeutschen auf diese Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzufordern.

Dominik Hollmann kam am 12. August 1899 in Kamyschin/Wolga zur Welt. Die Mutter (an seinen Vaters konnte er sich nicht erinnern) hielt die Familie als Waschfrau, Näherin oder Magd mit Müh und Not übers Wasser. So sah sich auch Dominik ganz früh auf sich selbst gestellt. Die städtische Vierklassenschule und ein Lehrerkurs in Kamyschin, den er 1916 abschloss, war die erste Station auf dem Weg zum ersehnten Lehrerberuf. Schon mit siebzehn begann seine Lehrtätigkeit – zuerst in der deutschen Kirchenschule in seiner Heimatstadt, später in Rothammel, Erlenbach und Marienfeld. Als in Engels 1928 die Deutsche Pädagogische Hochschule eröffnet wurde, war Hollmann bereits Oberhaupt einer sechsköpfigen Familie – ein Direktstudium kam vorerst nicht in Frage. Nach zwei Jahren Fernstudium an der Moskauer Staatsuniversität, setzte er 1932-1935 seine Ausbildung an der Deutschen Pädagogischen Hochschule in Engels fort. Danach war er sechs Jahre Dozent und Dekan des Fachbereichs für deutsche Sprache und Literatur an derselben Hochschule.

D. Hollmann mit Schriftstellerkollegen (c) Privatarchiv von R. Bender

Bereits während des Studiums und in der Folgezeit trat Hollmann als Autor, Übersetzer, Nachdichter und Lehrbuchverfasser hervor. Seit 1923 schrieb der junge Dorflehrer Berichte für die Zeitung „Nachrichten“, bald auch Kurzgeschichten über das Dorfleben. In den 1930er Jahren veröffentlichte er Gedichte, Kurzerzählungen und Kritiken in der deutschen Presse. Hollmann verfasste außerdem Lehrbücher der deutschen Grammatik für Schulen, stellte ein Lesebuch für Erwachsene zusammen, machte zahlreiche Übersetzungen aus dem Russischen für den Deutschen Staatsverlag und wirkte aktiv im Schriftstellerverband der ASSR der Wolgadeutschen mit. 1940 wurde er in den Schriftstellerverband der UdSSR aufgenommen.

Die Deportation nach Sibirien und die Arbeitsarmee im Gebiet Kirow (Arbeitslager Wjatka), wo er als Holzfäller Zwangsarbeit leistete, durchkreuzten über Nacht alle seine Pläne. Hollmann litt so schwer an Skorbut und Auszehrung, dass er im März 1944 als „Dochodjaga“ (untauglich zum Arbeitseinsatz) beurlaubt wurde – halbtot und dahinsiechend. Nur langsam gelang es ihm, dem Tod zu entkommen. Nicht aber seiner herzkranken Frau, die im Winter 1945 starb, und der jüngsten siebenjährigen Tochter, die durch einen tragischen Unfall ums Leben kam. Bis 1953 war Hollmann immer noch Zwangsarbeiter am Jenissej im Hohen Norden, zu verschiedenen landwirtschaftlichen Arbeiten verpflichtet, zum Schluss durfte er die Rechnungsführung in einem kleinen Fischerartel übernehmen. Danach kehrte er zum Lehrerberuf zurück, zuerst unterrichtete er Deutsch an einer Siebenklassenschule im Rayon Kansk. Nach der Aufhebung der Kommandanturaufsicht war er von 1956 bis 1964 Oberlehrer für deutsche Sprache an der Sibirischen Technologischen Hochschule Krasnojarsk.

Hollmann gehörte zu den ersten Autoren, die literarisch tätig wurden. Als 1955 in Barnaul die erste deutschsprachige Nachkriegszeitung „Arbeit“ (1955-1957) erschien, war er sofort unter den Literaten, deren Werke die Zeitung druckte. 1964 ging er in Rente und widmete sich ganz der literarischen Tätigkeit. Die Literaturseiten der drei deutschsprachigen Zeitungen „Neues Leben“ (Moskau, seit 1957), „Rote Fahne“ (Slawgorod/Westsibirien, seit 1957) und „Freundschaft“ (Zelinograd/Kasachstan, seit 1966) sowie der Almanach „Heimatliche Weiten“ (1981-1990) waren auch für ihn die einzige Möglichkeit, seine Werke – Gedichte, Prosa und literaturkritische Abhandlungen – an den Leser zu bringen. Hollmann verfasste etwa 600 Gedichte (davon sind 15 vertont worden) und zahlreiche kürzere und längere Prosawerke.

Nach dem Krieg gehörte Hollmann zu den Pionieren der Autonomiebewegung. Schon 1957 verfasste er ein Schreiben an das ZK der KPdSU, wo er an konkreten Beispielen die ungleiche Behandlung der Deutschen darstellte. In den nächsten Jahrzehnten folgten weitere Schreiben und Petitionen an die höchsten sowjetischen Partei- und Regierungsinstanzen. Im Januar 1965 war Dominik Hollmann Teilnehmer der ersten Delegation der Russlanddeutschen.

Jedes Mal wurde Hollmann in das örtliche Parteikomitee vorgeladen und einem strengen Verhör unterzogen. Es wurden unangenehme Konsequenzen angedroht, sollte er mit ähnlichen Briefen nicht aufhören. Sein beharrliches Engagement für die Wiederherstellung der Rechte der Russlanddeutschen führte 1976 zu einem Boykott durch die Zeitung „Neues Leben“ und beraubte Hollmann zeitweilig der Möglichkeit, seine Werke zu veröffentlichen.: In der Überzeugung – „Je mehr solcher Briefe an die Regierung gerichtet werden, desto besser“ – ließ er sich dennoch nicht einschüchtern.

Als Vorreiter stand Dominik Hollmann auch an den Anfängen der Nachkriegsliteratur und der Literaturbewegung. „Wir Lehrer und Schriftsteller müssen die Initiative ergreifen, um etwas für unser Volk zu erreichen. Zerstreut auf einem außerordentlich großen Territorium, ohne Schulen, ohne Möglichkeit, die deutsche Muttersprache zu erlernen und zu sprechen, wird unser Volk seine Kultur, seine Identität verlieren“, fasste er seine Motivation zusammen. Er war Organisator der deutschen Sektion bei der Krasnojarsker Zweigstelle des Schriftstellerverbandes der RSFSR (1958) und Initiator der ersten Schriftstellerseminare (1958, 1959 und 1962) in Krasnojarsk. Das letzte größte Seminar, an dem sich auch Dominik Hollmann beteiligte, fand im Rahmen der Sawatzky-Dichterlesungen im Juli 1978 in Slawgorod und in den deutschen Dörfern der Kulunda-Steppe statt. Hollmann referierte über das Leben und Werk von Gerhard Sawatzky (1901–1944).

Gleichzeitig entwickelte Dominik Hollmann einen regen Briefwechsel mit zuständigen Schriftstellerbehörden, vor allem mit dem Schriftstellerverband der RSFSR, um Schriftstellerseminare deutschschreibender Autoren durchzuzusetzen. Das erste Unionsseminar „sowjetdeutscher“ Schriftsteller der Nachkriegszeit, dem weitere folgten, konnte im Januar 1968 in Moskau stattfinden. Im gleichen Jahr wurde außerdem die „Kommission für sowjetdeutsche Literatur“ beim Schriftstellerverband der UdSSR gegründet, zu der auch Dominik Hollmann gehörte.

1978 kehrte er in seine Heimatstadt Kamyschin zurück. Neben der schriftstellerischen Tätigkeit machte er sich für die Erhaltung der deutschen Kultur stark, initiierte die Gründung des Leserklubs der Zeitung „Neues Leben“, dessen Leiterin die Tochter Ida Bender war, und engagierte sich als Inspirator des Leserklubs. Für sein vielfältiges literarisches und gesellschaftliches Engagement wurde er 1989 mit dem Orden der Völkerfreundschaft ausgezeichnet.

Dominik Hollmann starb am 6. Dezember 1990 in Kamyschin. Seine Nachkommen, allen voran die Tochter Ida Bender (1922-2012) und ihr Sohn Rudolf Bender, entwickelten ein beispielhaftes Engagement zur Wahrung und Vermittlung des literarischen Erbes von Dominik Hollmann. Zu seinem 120. Geburtstag hat die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. einen Fotokalender „Dominik Hollmann 1899-2019. Altmeister der russlanddeutschen Literatur“ herausgegeben – in Kooperation mit dem Kulturreferat für Russlanddeutsche (Bayern) mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. Demnächst sollen weitere Publikationen von Dominik Hollmann erscheinen: „Es kämpft ein Volk für seine Menschenrechte. Briefe und Tagebuchaufzeichnungen über die rechtlose Lage der Russlanddeutschen in der UdSSR in den Jahren 1957-1990“ sowie die vierte Auflage des Gedichtbandes „Ich schenk Dir, Heimat, meine Lieder“.