„Als ich gestorben war …“ von Viktor Heinz

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von Agnes Gossen-Giesbrecht

 Zum Roman von Viktor Heinz
„Als ich gestorben war …“

Viktor Heinz, einer der produktivsten deutschen Autoren aus Russland, der 20 Jahre lang in Göttingen gelebt und zehn Bücher veröffentlicht hatte, feierte im Oktober 2012 sein 75-jähriges Jubiläum mit zwei erschienen Büchern. Der Lyrikband „Spiegelbilder“: Gedichte und Nachdichtungen wurde als Sonderdruck und Festschrift von jüngeren Schriftstellerkollegen vorbereitet und vom Literaturkreis der Deutschen Autoren aus Russland veröffentlicht.

Der neue Roman von Viktor Heinz „Als ich gestorben war … “ ist 2012 im Robert Burau Verlag erschienen – bei einem russlanddeutschen Verleger, der früher Heinz‘ Roman „Der brennende See“ und den Kurzgeschichenband „Zarte Radieschen und anderes Gemüse“ herausgebracht hatte.

Seinen etwas skurrilen Titel verdankt der Roman der Szene, in der der Protagonist des Buches, der Bildhauer Peter Bade, nach einer misslungenen Operation und dem scheinbaren klinischen Tod, in die Leichenhalle gebracht wird und von dort schließlich flieht, was sein Freund Ernst Wagner nicht mitbekommt, weil er gerade sozusagen auf den Koffern sitzt. Dieser will mit seiner Tochter nach Deutschland ausreisen. Zwanzig Jahre später treffen sich die ehemaligen Jugendfreunde, die sich in den Sechzigerjahren in Russland als Rekruten an der chinesischen Grenze während der politischen Krise zwischen der UdSSR und China kennengelernt hatten, in Deutschland wieder. Dieser Tag der Begegnung und die am Tag darauf folgende feierliche Einweihung einer einzigartigen Skulptur, die eine stillende junge Mutter darstellt, sind eigentlich bloß zwei Tage aus dem Leben der zwei älteren Deutschen aus Russland. Sie berichten einander über die wichtigsten Ereignisse aus ihrer Vergangenheit.

Eine scheinbar einfache, vertraute Begebenheit. Doch Viktor Heinz versteht es, den Spannungsbogen bis zur letzten Seite durchzuhalten und die Neugier seiner Leser zu fesseln: von dem Zeitpunkt an, als der ehemalige Schauspieler Ernst Wagner von dem Bildhauer Peter Bade eine Postkarte bekommt, mit der Einladung, dessen Werkstatt aufzusuchen, um sich die nagelneue Frauenskulptur anzusehen. Während der Gespräche erfährt Ernst Wagner, wie Peter Bade auf eine seltsame Weise „auferstanden“ war und wie er zu der Idee mit der Mutterskulptur gekommen ist.

Das Buch bleibt bis zum Schluss höchstspannend, das Ende bleibt offen. Man erfährt nicht, ob Peter Bade nach der feierlichen Einweihung der Skulptur mit der „Frau in Schwarz“ nach Hause gegangen (heimgegangen) ist, oder ob ihn der Tod und nicht Erika, seine erste Liebe, die zur Einweihungsfeier erschienen ist, „geholt“ hat. Hat er sie auf diese Art nach so vielen Jahren doch noch gefunden? Hatte sie damals, während er seinen Wehrdienst abgeleistet hatte und sie gerade von ihm schwanger gewesen war, das gemeinsame Kind doch nicht abgetrieben? Hatte sie ihr Leben dem Kind geopfert? Warum war sie einfach verschwunden? Diese Fragen werden nur angedeutet. Vielleicht war auch alles anders gewesen und ihr Schicksal glich dem von Katjuscha Maslova aus Tolstois Roman „Auferstehung“, in dem das Dienstmädchen Katjuscha von einem jungen Gutsbesitzer verführt und darauf zur Prostitution gezwungen wird. Solche Andeutungen gibt es im Buch, jedoch Peter zweifelt daran, und diese Zweifel spiegeln sich eben auch in seiner „Madonna“-Skulptur wider, die je nach Blickwinkel mal als Heilige, die ihren Säugling stillt, mal als sündige Maria Magdalena gesehen werden kann.
Es ist ein Roman, der vieles andeutet und durch einige mystische Bilder erklärt, wie zum Beispiel die Erscheinung der Pflegemutter von Peter Bade nach ihrem Tode und ihre Rolle im Leben der zwei Waisenkinder, welche die damals junge Wolgadeutsche für Geschwister gehalten und sie während der Deportation vor dem Hungertod gerettet hatte. Nach der Auflösung der Deutschen autonomen Wolgarepublik verlor sie auf dem Weg in die Verbannung ihren ältesten Sohn, und später verhungerte ihr Ehemann im Arbeitslager. Kann man sie verurteilen angesichts ihrer Ängste und Sorgen im Überlebenskampf, weil sie alles Mögliche tat, um die junge Liebe von Peter und Erika zu verhindern? Es ist jedoch nicht bloß ein Buch über die von einer Mutter zerstörten Liebe ihres Sohnes, die übrigens zur Inspirationsquelle dessen erfolgeichen Schaffens wird. Es ist zugleich ein Buch über das Schicksal der Russlanddeutschen während des zweiten Weltkriegs bis hin zu ihrem Exodus nach Deutschland. Die zwei Protagonisten sind Vertreter der russlanddeutschen Intellektuellenschicht, die zu ihrem großen Teil aufgrund der Deportation und Zwangsarbeit in entlegensten Orten Kasachstans und Sibiriens quasi vernichtet wurde. Ernst Wagner und Peter Bade hatten es nicht leicht, in der Nachkriegszeit hatten sie Schwierigkeiten aufgrund ihrer deutschen Wurzeln, z.B. zum Studium zugelassen zu werden. Dennoch haben sie ihre Jugendträume nicht aufgegeben und sind ihren Weg gegangen. Sie blicken zurück auf ein erfülltes Leben voller Irrungen und Wirrungen, Fehler, Reue und Dankbarkeit fürs Überleben.

Im neuen Roman von Viktor Heinz entdeckt man die thematische Vielfalt. Träume und Wirklichkeit, Unerklärliches und Pragmatisches, Quellen der Inspiration verschmelzen mit Liebes- und Lebensgeschichten, mit hellen und dunklen Schatten der Vergangenheit. Aber auch mit der Gegenwart, mit den mühevollen Versuchen, in der neuen (alten) Heimat Deutschland heimisch zu werden. Ein langer Weg über ein halbes Jahrhundert, geschildert und meisterhaft „durchkomponiert“ vom Autor auf knapp 150 Seiten, die auf jeden Fall lesenswert sind und eine Bereicherung nicht nur für die russlanddeutsche, sondern ebenso für die gesamtdeutsche Literatur darstellen.

Viktor Heinz
Als ich gestorben war …
R. Burau Verlag , 2012, 150 S.
ISBN: 978-3-935000-84-0

Bestellungen unter:
BMV Verlag Robert Burau
Uekenpohl 31
32791 Lage (Westf.)
Tel.: 05202 – 2770
E-Mail: info@bmv-burau.de

Zum Tod von Viktor Heinz

Am 11. Juni am frühen Abend hörte das Herz von Viktor Heinz auf zu schlagen. Die Versuche des Rettungsdienstes ihn wiederzubeleben, waren gescheitert …

 Die Nachricht vom Tod unseres Autors Viktor Heinz macht uns, seine literarischen Freunde, traurig und tief betroffen. Er ist einer von den russlanddeutschen Autoren, auf den unsere Landsleute stolz sein können. Viktor Heinz war sehr beliebt und bekannt dank seinen Gedichten, Erzählungen und Romanen, seinen dramatischen Werken und Übersetzungen, seinen literaturkritischen Essays und wissenschaftlichen Dialektforschungen.  Es gibt so viele, die seinen Rat und Hilfe suchten und fanden. Viktor Heinz freute sich auf jeden jungen Autor, der versuchte, Deutsch zu schreiben und sagte immer: „Es ist immer so ein schönes Gefühl, wenn man in der Redaktionspost etwas gut Geschriebenes findet, wenn es manchmal auch nur ein paar Zeilen in einem Gedicht sind, aber es sind richtige Perlen, und da kann man mit dem Autor weiter arbeiten.“  Besonders viel hat er für die junge Autoren gemacht: ihre Gedichte ins Deutsche übersetzt, ihre Texte auf unseren Autorenseminaren analysiert. Man kann fast behaupten, dass kaum einer von unseren deutschschreibenden russlanddeutschen Autoren der mittleren und jüngeren Generationen in Deutschland ohne seine Hilfe ausgekommen ist. Er war der „Taufpate“ sehr vieler Bücher von Autoren unseres Literaturkreises. Er war Mitbegründer des Literaturkreises der Deutschen aus Russland e.V., war lange Jahre Lektor von unseren Deutschen Almanachen. Er war bescheiden und zurückhaltend, aber auch  weise, belesen, feinfühlig, tolerant und ausgewogen.  Er konnte viele schwierige Probleme mit wenigen Worten auf den Punkt bringen und in aller Ruhe eine Lösung vorschlagen. Er war ein Schriftsteller mit Herz und Humor.

Am 11. Juni am frühen Abend hörte das Herz von Viktor Heinz auf zu schlagen. Die Versuche des Rettungsdienstes ihn wiederzubeleben, waren gescheitert …

Die Nachricht vom Tod unseres Autors Viktor Heinz macht uns, seine literarischen Freunde, traurig und tief betroffen. Er ist einer von den russlanddeutschen Autoren, auf den unsere Landsleute stolz sein können. Viktor Heinz war sehr beliebt und bekannt dank seinen Gedichten, Erzählungen und Romanen, seinen dramatischen Werken und Übersetzungen, seinen literaturkritischen Essays und wissenschaftlichen Dialektforschungen.  Es gibt so viele, die seinen Rat und Hilfe suchten und fanden. Viktor Heinz freute sich auf jeden jungen Autor, der versuchte, Deutsch zu schreiben und sagte immer: „Es ist immer so ein schönes Gefühl, wenn man in der Redaktionspost etwas gut Geschriebenes findet, wenn es manchmal auch nur ein paar Zeilen in einem Gedicht sind, aber es sind richtige Perlen, und da kann man mit dem Autor weiter arbeiten.“  Besonders viel hat er für die junge Autoren gemacht: ihre Gedichte ins Deutsche übersetzt, ihre Texte auf unseren Autorenseminaren analysiert. Man kann fast behaupten, dass kaum einer von unseren deutschschreibenden russlanddeutschen Autoren der mittleren und jüngeren Generationen in Deutschland ohne seine Hilfe ausgekommen ist. Er war der „Taufpate“ sehr vieler Bücher von Autoren unseres Literaturkreises. Er war Mitbegründer des Literaturkreises der Deutschen aus Russland e.V., war lange Jahre Lektor von unseren Deutschen Almanachen. Er war bescheiden und zurückhaltend, aber auch  weise, belesen, feinfühlig, tolerant und ausgewogen.  Er konnte viele schwierige Probleme mit wenigen Worten auf den Punkt bringen und in aller Ruhe eine Lösung vorschlagen. Er war ein Schriftsteller mit Herz und Humor.
Er hatte in der letzten Zeit eine Reihe humoristischer Erzählungen geschrieben, die dem Deutschen Theater aus Niederstetten als Grundlage für ihre Sketche dienten – einem Theater, wo sich viele Schauspieler des früheren Deutschen Theaters Temirtau/Alma-Ata zusammengefunden hatten und mit denen V. Heinz alte Freundschaft verband.

Auch die Librettos zu zwei Kindermusicals von Eduard Isaak „Russland, ahoj“ und „Die Einsteinfalle“, die auf CDs aufgenommen wurden, waren von ihm sehr professionell geschrieben. Sein „Heimatlied“  wurde zum festen Bestandteil der Konzertprogramme vieler russlanddeutscher Chöre geworden. Er arbeitete ebenso viel an Übersetzungen und las fremde Texte Korrektur und beschwerte sich manchmal, dass er kaum noch Zeit hat in seinem „Unruhestand“. Sein 75. Jubiläum im Oktober letzten Jahres feierte er mit seinem im Burau-Verlag erschienen Roman „Als ich gestorben war …“ und einer Sonderausgabe seiner Nachdichtungen „Spiegelungen“,  die vom Literaturkreis der Deutschen aus Russland e.V. herausgegeben wurde.

Er wird uns sehr fehlen, aber in unseren Erinnerungen weiter leben.

Literaturkreis der Deutschen aus Russland e.V., Deutschland