Diese Warnung, die man Kindern bereits beim Eintritt ins Kindergarten- oder spätestens ins Schulalter mit auf den Weg gibt, verliert für einen Übersetzer auch im späteren Leben nicht an Brisanz, obwohl sie dann eine gänzlich andere Bedeutung hat.
Mit dem Begriff „falsche Freunde“ werden in der Sprachwissenschaft nämlich Worte bezeichnet, die es in einem bestimmten Sprachenpaar (für unsere Zwecke also Russisch-Deutsch) in beiden Sprachen gibt, die sich aber in ihrer Bedeutung, Grammatik, Rechtschreibung oder stilistischen Verwendung unterscheiden. Klassische Beispiele dafür sind die russischen Wörter „aкадемик“ und „институт“, die hier bereits an anderer Stelle thematisiert wurden.
Zum Problem der falschen Freunde wurden inzwischen komplette Wörterbücher herausgegeben und viele linguistische Abhandlungen geschrieben, die jeweils den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden. Dennoch möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, dazu aufrufen, bevor Sie ein Wort im Deutschen verwenden, das Ihnen aus dem Russischen bekannt ist, genau darüber nachzudenken (oder nachzuschlagen), ob die Bedeutung identisch ist. Erinnern Sie sich nur einmal daran, welch unterschiedliche Erscheinungen durch „конкурс“ (ein Wettbewerb oder eine Ausschreibung) und „Konkurs“ (ein Bankrott) bezeichnet werden!
Manchmal ist auch nur ein Teil der Bedeutung identisch, ein anderer nicht. Während man unter einem „орган“ im Russischen sowohl ein Organ als auch eine Behörde bzw. ein Gremium, aber auch eine Orgel versteht, gibt es im Deutschen für jede dieser Bedeutungen ein eigenes Wort. Auf einem russischen „бутерброд“ (abgesehen von der Schreibweise, die sich am Ende vom Deutschen unterscheidet) muss nicht zwingend auch Butter vorhanden sein, dafür darf es aber durchaus Wurst, Käse oder einen anderen Belag enthalten. Damit versteht man unter dem russischen Begriff etwas deutlich anderes als unter dem vermeintlichen deutschen Pendant, das ausschließlich eine mit Butter bestrichene Scheibe Brot bezeichnet.
Während man im Russischen den Begriff труппа eher mit dem Theater assoziiert, ist die deutsche „Truppe“ meist eine militärische Bezeichnung, während die Bedeutung eines Theater- oder Ballettensembles erst an zweiter Stelle steht. Auch die „сцена“ ist im Deutschen, wenn die Bretter, die die Welt bedeuten, gemeint sind, immer die „Bühne“, während eine „Szene“ ausschließlich ein Teil eines Theaterstückes oder Films bezeichnet.
Ein „оператор“ ist im Deutschen heutzutage häufig ein Betreiber, etwa, wenn es um Mobilfunkunternehmen geht, während der „кинооператор“ ein Kameramann ist. Nicht verwechselt werden sollte der russische Begriff mit dem deutschen „Operateur“. Hierbei handelt es sich nämlich ausschließlich um einen Chirurgen, der Operationen durchführt.
Aber nicht nur Substantive können falsche Freunde sein. So liest man im Russischen oft, etwas sei „неординарно“. Ich kann nur davor warnen, das mit „nicht ordinär“ zu übersetzen, denn das versteht sich in den meisten Kontexten (hoffentlich) von selbst. „Ordinär“ bedeutet im Deutschen nämlich so viel wie „vulgär“. Und spätestens wenn man Konstruktionen dieser Art für eine ungewöhnliche Frau verwenden möchte, begibt man sich ganz schnell sprichwörtlich auf sehr dünnes Eis.
Damit sind wir auch bei der letzten Gruppe falscher Freunde, vor denen ich Sie gern warnen möchte. Es sind die Wortfügungen – idiomatische Redewendungen, die auf den ersten Blick identisch daherkommen, auf den zweiten aber doch eine andere Bedeutung oder Bedeutungsnuance haben. So könnte man meinen, das russische „поставить на ноги“ würde dem deutschen „etwas auf die Beine stellen“ entsprechen. Das ist jedoch nicht ganz der Fall, da die deutsche Redewendung einen wesentlich kürzeren Zeitraum und ein kurzfristiges Ergebnis umfasst. Hier genügt es, etwas zu initiieren oder zum Laufen zu bringen, während die russische Wendung einen nachhaltigen Erfolg beinhaltet, wenn zum Beispiel jemand „auf einen grünen Zweig kommt“ oder man ihm dazu verhilft, auf eigenen Beinen zu stehen.
Carola Jürchott