Sag mir, wie du heißt … (1)

… und ich sage dir, wer du bist. So müsste dieser Satz weitergehen, würde man dem altbekannten Muster folgen. Ganz so ist es sicher nicht, denn das würde bei Weitem zu pauschal klingen. Dennoch können Namen etwas über die Biografie ihrer Träger aussagen, und ich finde, das sollten Autoren bei der Namensfindung für ihre literarischen Figuren berücksichtigen, wenn es sich um fiktionale Texte handelt. Zu unterscheiden sind hierbei nationale, temporale, lokale und soziale Konnotationen.
Die erste Frage, die sich bei der Vergabe eines Namens für eine Figur natürlich stellt, ist die Überlegung, wo diese Figur lebt und welchem Kulturkreis sie angehört. Dies gilt sowohl für eigene Texte als auch für Übersetzungen. Ein Beispiel für die Problematik bei Letzteren sind etwa die „Baskischen Erzählungen“ in der Übersetzung von Hans Josef Vermeer. Dieser berühmte Übersetzungswissenschaftler und Vater der Skopostheorie hat sich mit seiner Übersetzung selbst strikt an diese gehalten. Davon ausgehend, dass eine gute Übersetzung nicht wie eine Übersetzung klingen und beim Leser in der Zielsprache denselben Effekt erzielen soll wie beim Leser in der Sprache des Originals, hat er auch die Namen der Figuren verändert, damit sie für den deutschen Leser nicht „fremd“ klingen. So haben nun in diesen Erzählungen baskische Figuren Namen wie „Hinz“ und „Lutz“. Verfolgt man damit einen bestimmten Zweck – wie Vermeer, der mit seiner Übersetzung ein Anwendungsbeispiel für die Skopostheorie geschaffen hat- , ist ein solches Vorgehen legitim, solange man es für den Leser der Übersetzung an irgendeiner Stelle begründet.


Möchte man als Autor ein bestimmtes Lokalkolorit vermitteln, ist diese Herangehensweise sicher nicht die Variante der Wahl. In diesem Fall sollte man sich genau überlegen, welche Namen zu dem jeweiligen Kulturkreis – mitunter auch zur jeweiligen Religion – passen und wie gegebenenfalls Kurzformen gebildet werden. In einem muslimisch geprägten Handlungsort ist es beispielsweise eher zu vermuten, dass die Figuren auch Namen tragen, die im Islam verwurzelt sind.


Die bereits erwähnten Kurzformen werden ebenfalls in verschiedenen Sprachen und Kommunikationsgemeinschaften unterschiedlich gebildet. Sollte beispielsweise ein Tscheche „Janko“ heißen, könnte das für Kenner der Materie seltsam klingen, da das eine slowakische oder auch ungarische Namensform ist. Tschechische Kurzformen männlicher Namen enden eher auf -a wie „Jarda“ für Jaroslav oder auf -ek wie „Mirek“ für Miroslav.
Umgekehrt kann es auch sein, dass Kurzformen nicht als solche erkannt werden. So sind Sascha, Anja und Tanja in Deutschland vollwertige Namensformen, von denen viele gar nicht wissen, dass sie beispielsweise in Russland nie im Pass eingetragen werden würden, weil es dort reine Kurzformen sind.


Selbst bei der Geschlechterzuordnung muss man mitunter Vorsicht walten lassen, auch wenn einem die verwendeten Namen völlig vertraut vorkommen. So kann in Deutschland, im Gegensatz zum russischen Sprachgebrauch, Nikita als Mädchenname vergeben werden, und armenische Männer, die Karen (mit Betonung auf dem e) heißen, werden von deutschen Behörden aufgrund des hier bekannten weiblichen Vornamens Karen (der auf dem a betont wird) auch schon einmal als „Sehr geehrte Frau Sowieso“ angeschrieben. Die deutschen Mädchennamen Simone und Andrea würden wahrscheinlich bei Italienern Verwunderung auslösen, denn dort sind beide Namen als männliche Vornamen gebräuchlich.


Bewegt man sich als Autor also außerhalb des eigenen Kulturkreises, in dem einem diese Dinge von Kindheit an vertraut sind, sollte man auch solche Fragen recherchieren (ggf. indem man in der Wikipedia oder anderen Nachschlagewerken danach sucht, wie berühmte Persönlichkeiten des jeweiligen Landes oder Landesteils geheißen haben).

(Fortsetzung folgt)

Carola Jürchott
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