„Aus der Stille kommt das Wort“ – eine Rezension des Erzählbands „Gesammelte Scherben“

von Ida Häusser

„Aus der Stille kommt das Wort.“ So beginnt eine Geschichte aus Melitta L. Roths GESAMMELTE SCHERBEN. Ja, man muss sich Zeit nehmen, sie zu lesen, und die Stille um sich herum am besten mit dazu. Man muss sich auf die Textbruchstücke einlassen – und wird reich belohnt. Sie erzählen so viel.

Die Geschichten folgen keinem roten Faden. Es ist eine Collage aus Zufällig-Gefundenem und Streng-Gehütetem, aus Achtlos-Fallengelassenem und Mutwillig-Zertrümmertem, feines Porzellan aus der Familientruhe neben schwerem Steinzeug der Dorfleute – alles in tausend Öfen gebrannt. Eleganter Silberrand neben Unheilverheißungen, zarte Rosenranken auf rabenschwarzen Vorahnungen, Surreales mit Blümchenmuster neben dem allzu realen Schnurbart-Konterfei auf den Etiketten der zerschlagenen Wodka-Flaschen. Nichts passt zu einander und doch, und doch: Es ist Teil des Ganzen, des Trümmerfeldes der Russlanddeutschen Geschichte.

„Kintsugi“ heißt eine der literarischen Miniaturen, sie beschreibt die japanische Kunst, zerbrochene Teile beim Zusammensetzen mit Gold zu kitten. Schön wär’s! Die russlanddeutschen Schicksale lassen sich nicht kitten, mit keinem Gold der Welt.

Man kann sich aber immer wieder Zeit und Stille nehmen und Melitta L. Roths Scherben neu begutachten, wie bei einer Ausgrabung – beim zweiten Lesen weiß man ja, welche Kanten scharf sind. Man kann immer wieder den Dreck wegpusten, wiegen, messen, überlegen, aus welchem Teil des Gesamten sie stammen könnten. Und sie dann neu zu einem Mosaik zusammenfügen, nach eigenem Geschmack auf Mörtel gesetzt. Bis alles an seinem Platz ist, bis alles einen Sinn hat. Ein wandfüllendes dreidimensionales Gemälde könnte es werden!

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