Prozente, Prozente

Keine Angst, liebe Leserinnen und Leser – so reißerisch, wie der Titel es vermuten lassen könnte, wird dieser Beitrag ganz bestimmt nicht. Vielmehr geht es wieder einmal um Mathematik im weitesten Sinne, und zwar in diesem Fall um die Besonderheiten der Prozentrechnung im Russischen und im Deutschen. Den ersten Unterschied bieten einem bereits einschlägige Wörterbücher. Während man im Deutschen nur Prozente bekommt, wenn man eine Provision bezieht oder einen Rabatt aushandelt, haben die russischen проценты ein weitaus größeres Betätigungsfeld. Sie treten sowohl als rein mathematische Größe auf, die wahrscheinlich auf der ganzen Welt dieselbe Bedeutung hat – nämlich „von Hundert“ -, können aber auch Zinsen, einen Zinssatz, eine Verzinsung oder eine Rendite bedeuten.
Bei all diesen Bedeutungen hilft einem im Zweifel ein gutes Wirtschaftswörterbuch, man sollte nur wissen, wonach man suchen muss und dass „проценты“ eben nicht immer „Prozente“ sind.


Schwieriger wird es da, wo sich ein Unterschied auf rein mathematischer Ebene ergibt, der, streng genommen, eigentlich gar nicht existiert. Den Begriff, auf den ich hinauswill, gibt es nämlich im Russischen auch, er findet nur fast keine Verwendung. Es geht um den Prozentpunkt, der auch im Deutschen nicht immer dort zum Tragen kommt, wo er eigentlich stehen müsste. Dennoch findet man ihn in Nachrichten, Statistiken etc., was ein russischer Muttersprachler unlängst mit den Worten kommentierte: „Ihr Deutschen seid ja auch Fetischisten, wenn es darum geht, etwas präzise auszudrücken!“
Sicher hat er damit nicht ganz unrecht, aber es ist auch ein Unterschied, ob ein Anteil von 75% um 10% oder um 10 Prozentpunkte erhöht wird. Erhöht man ihn um 10%, kommen nämlich nur noch einmal 7,5% des Ganzen (also 10% der besagten 75%) hinzu, das Ergebnis ist ein Wert von 82,5%. Addiert man hingegen 10 Prozentpunkte, erhält man am Schluss 85%. Je nachdem, wie groß das Ganze ist, können die 2,5%, um die das Ergebnis differiert, schon einen erklecklichen Betrag ausmachen.


Geht es also um eine Differenz zwischen zwei Prozentangaben, wird diese immer in Prozentpunkten angegeben, damit klar ist, dass die Bezugsgröße dieselbe bleibt. Anderenfalls würde nämlich der erste Prozentwert zur Bezugsgröße für den zweiten werden, und das ist nur in ganz wenigen Fällen wirklich erwünscht. Denken Sie ruhig daran, wenn in den Nachrichten das nächste Mal davon die Rede ist, dass Sozialversicherungsbeiträge um eine bestimmte Anzahl Prozentpunkte von einem Prozentwert auf den anderen erhöht oder gesenkt werden.

Carola Jürchott
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