„Leben und Tod von Godehard Drachenhund“, eine Leseprobe von Max Schatz

Sonettenkranz aus „Nihilschwimmer“,

erschienen im ostbooks Verlag, 2020.

I

So wie du gingst, so kommst du wieder her,
zerbrechlich, winzig wie ein Blatt im Winde,
und aller Welt Glück liegt in diesem Kinde,
sagt man und meint, du seist noch „nirgendwer“.

In dir die Welt, vor dir der Wege Meer
(wo jeder zweite sei ein Weg der Sünde),
so jeder Fluss in einen andren münde,
doch jener ist er selbst und sonst nichts mehr.

Zum ersten Mal hast du das Licht erblickt,
von einem Stern, der Sonne heißt, geschickt,
das Glück der Eltern, Lächeln der Hebamme.

Gott geizte nicht mit Leben, Raum und Zeit,
erfreu dich an der Dinge Einfachheit!
Noch bist ein Funken nur, noch keine Flamme.

II

Noch bist ein Funken nur, noch keine Flamme,
ein kleiner Junge mit dem blonden Schopf,
doch weißt schon, durchzusetzen deinen Kopf,
man meint, der Apfel fällt nicht weit vom Stamme.

Die Sintflut lodert hungrig vor dem Damme,
der Finger trachtet nach dem roten Knopf,
zu werfen alles in den Abfalltopf …
und du holst täglich eine neue Schramme.

Wer braucht schon heute eine Weltarena?
Die Ego-Shooter-Spiele sind der Renner.
Als Einziger du merktest weder Speer

noch Stein, zuerst geworfen, in den Augen,
so konntest bloß als Straße etwas taugen,
bald hülltest du dein Herz in schwarzen Teer.

III

Bald hülltest du dein Herz in schwarzen Teer
und wurdest jemand einer andren Sorte,
dein Geist fand Ruh’ im Feuerwerk der Worte,
dein Gästebuch jedoch blieb ziemlich leer.

Dann warst du ausgebrannt, die Last war schwer,
und, gleich vergess’ner Kerze auf der Torte,
auch durchgebrannt, um dich eine Eskorte
aus Schuldgefühlen, wie die Feuerwehr.

Der Fluch, zu sein für immer auf der Flucht,
ist Überlebenstrieb und keine Sucht,
kein böser Zufall, ähnlich der Pik-Dame.

Die Suche ist nicht hier und jetzt, sie ist,
seitdem das All sich selbst sein Buch vorliest,
in dessen Weiß geschrieben stand ein Name.

IV

Indessen weiß geschrieben stand ein Name,
ein klitzekleines Komma – ein Komet,
dann die drei Worte und ein Punkt – Planet,
sie alle blickten darauf mit Ausnahme

der einen, die bar jeglicher Teilnahme
im Klassenzimmereck schrieb ein Sonett,
ihr warst du kein Poet, vielmehr Prolet,
dein Tafeltext ging da schon ins Infame.

Was eines Nachts, so schlaflos, sich auftürmte,
bald wie die Jugend selbst vorüber stürmte,
ließ schlittern, schließlich stieß auf schiefe Bahn.

Es gab mal eine Zeit, da dachtest ständig:
„Wonach es mich verlangt, ist noch lebendig,
Christina, in dir wie ein Ozean.“

V

„Christina, in dir, wie ein Ozean
gebiert die wundervollsten Kreaturen,
trotzt nimmermüde Seele den Torturen
des Schaffens – steckt dahinter Gottes Plan? –

und des Vernichtens, wenn befällt der Wahn.
Doch ich gehör’ nicht zu Museumsnaturen,
hör’ statt der Muse Amors Pfeile surren,
in deinen stillen Wassern sinkt mein Kahn.“

Umsonst die Frau der Träume nachgeahmt,
naiv der Vers, der deiner Hand entstammt,
war all das nicht ein Kampf mit den Windmühlen?

Am Herd jetzt eine Maus, kein Schein vom Mond,
dein Herz – ein Haus, Welt ohne Horizont,
aus meistens unerwiderten Gefühlen.

VI

Aus meistens unerwiderten Gefühlen
heraus gelingt kein lustiges Gedicht,
wenn der Gedanke schon ans Fühlen sticht
voll Schmerz, benötigt man wohl hundert Hüllen

und tausend Tränen, spurlos wegzuspülen
das einstmals Durchgemachte vom Gesicht.
Und hinterm Gitter, ohne klare Sicht,
da konntest lange noch im Wandputz wühlen.

Ob das Verlangen ward dir zum Verbrechen?
Welch Frevel sonst? Noch immer spürst du stechen
merkwürdiger Gerechtigkeit den Zahn.

So wolltest du, wenn jemanden bloß hättest,
und wär’ es Gott, zu dem du täglich betest,
den fragen nach „Weswegen nur“ und Wann.

VII

Den Fragen nach „Weswegen nur?“ und „Wann?“
begabst du innerlich dich auf die Reise,
wie hinter einem Zug her, gleich ’nem Greise
vom Leid gebeugt, obwohl noch junger Mann.

Weswegen nur fängt man gefeiert an
und stellt zum Schluss fest, man ist eine Waise?
Wann kommt in Sicht der Treffpunkt aller Gleise?
Ob steht dort die verpasste Eisenbahn?

Tradition und Innovation,
die Wissenschaft und die Religion,
schwer hat es, wer sitzt zwischen den zwei Stühlen.

Die Reise nicht, die Rast hast du bereut,
wer sich vor Sternenkälte nie gescheut,
erwärmt sich nachts, um morgens abzukühlen.

VIII

Erwärmt sich nachts, um morgens abzukühlen,
in einsamer Berghütte der Kamin,
hier warst du frei, du lebtest wie ein Dschinn,
dann kamen sie, die Flasche abzufüllen.

Akute Luftnot lässt dich nicht mal brüllen,
in deiner Kehle siecht ein Schrei dahin,
Papier brennt langsam, bleibt der sechste Sinn,
falls ohne ihn, dann schlicht zum Müll zerknüllen.

Ach, dieser stete Drang, erhört zu werden!
Als gebe es kein andres Ziel auf Erden –
dem Herdentrieb abschwören für den Ruhm.

Dass es bedurfte eines kleinen Stoßes,
zu stürzen aus dem Sattel hohen Rosses,
das war vielleicht vom Schicksal gar nicht dumm.

IX

Das war vielleicht vom Schicksal gar nicht dumm,
dir einen Hinweis „Sackgasse!“ zu senden,
auf einmal warst du im Begriff zu wenden,
wo Pfad so grad war wie Banane krumm.

Fast vierzig lange Jahre praktisch stumm,
nun gab es keine Zeit mehr zu verschwenden,
weil des Natürlichen einst reiche Spenden
aufhörten, blieb des Künstlichen Konsum.

Den Pfad zurück stiegst du hinab ins Tal,
wo Feuer Rauch ist und Musik ist Schall,
gedachtest, unter Menschen dich zu mischen,

egal, als welches nie vermisste Tier,
viel wichtiger, dass man bereit war, dir
nicht Kaviar, doch Salzbrot aufzutischen.

X

Nicht Kaviar, doch Salzbrot aufzutischen,
nicht am Klavier, stattdessen mit dem Gong
sich zu versuchen an komplexem Song,
verlangt das Karma wohl von dem, der zwischen

den Straußen und den Süßwasserhaifischen
sich mausert, stets sich duckend wie Vietcong,
und nutzt ihn als das Bällchen beim Ping Pong
an scheinbar ungleich aufgeteilten Tischen.

Warst du denn nicht schon immer unauffällig?
Doch sage, was macht plötzlich dich so selig?
Glück scheint zu sein dein ganzes Eigentum.

Manch einer es dir ganz von Herzen gönnte,
manch anderer sich nur mit dir versöhnte,
weil dachte wohl: „Bald ist es eh herum.“

XI

Weil dachte wohl: „Bald ist es eh herum“,
so machte Gott auch keine Frau teilhabend
an deinem Leben, besser, dessen Abend,
der – denkste! – sich hinzog wie ein Kaugumm’ …

was oft der Fall bei einem Praktikum.
An vielerlei Erfahrungen sich labend,
kamst du zuletzt ans Ziel, die Kurve schabend,
du seufztest tief. Was nun folgt, ist posthum:

Wenn du erkennst, wie mehrmals schon zuvor,
ein kleines Licht, ein unsichtbares Tor,
hörst du den Ruf: „Lass da, was dir war teuer!“

Nicht „haben“, „sein“ war dein Beschluss, so sei!
Mit Körper auf Verderb, Geist auf Gedeih.
Es kommt das kosmische nun Abenteuer.

XII

Es kommt das kosmische nun Abenteuer,
ist komisch, doch des Glaubens Elixier,
noch bitter im Exil der Galaxie,
geht nie zur Neige, selbst der Kelch wird neuer.

Ob Himmel, Hölle oder Fegefeuer,
nach Gaia alles ein dreizweigig’ Psi.
Aasgeier sind stets geil auf Autopsie –
dem Medizinstudenten nicht geheuer.

Wie dieser wagst du in den dunklen Raum
den ersten Blick und Schritt. Da ist ein Baum,
nein, Labyrinth aus blühend-bunten Büschen,

wo hast erwartet trockenes Geäst,
warst überzeugt, darin kein Vogelnest –
der Hoffnung grünen Zweig nur zu erwischen.

XIII

Der Hoffnung grünen Zweig nur zu erwischen,
wie hoch im Blau er wohl auch hängen mag,
strebst du empor, wer weiß, schon seit dem Tag,
als Fackellicht erhellte Höhlennischen,

man hörte auf, zu jagen und zu fischen,
erst wenn Mondstille über allem lag …
Und seine Frucht hat seltsamen Belag,
doch hört man weit und breit kein Schlangenzischen.

Der Leitsatz von zwei Enden jeder Wurst
stillt nicht endgültig deinen Wissensdurst,
gleicht losem Ziegelsteine im Gemäuer.

Nimm raus ihn. Schau! Die Schöpfung ist perfekt!
Weil jeder ein Stück selbst der Architekt
auf langem Weg zu ihm als ewig’ Feuer.

XIV

Auf langem Weg zu dem als ewig’ Feuer
verheißenen den Menschen Paradies
sitzt du mal im Foyer, mal im Verlies,
dies ist ein Luftschloss, keine Paranoia.

Willst dringend sein der Vielfalt Veruntreuer,
Vergleich zieh’n zwischen Licht und Dunkel? Zieh’s!
Nun, abzulegen in sich den Narziss,
geht auch, vielleicht nicht heute oder heuer.

Die Summe macht’s. Kontrast kann alles fügen.
Unaustrinkbares trink in vollen Zügen!
Der Abschied bitter, umso süßer er,

wenn wird zur Heimkehr auf manch fremdem Boden,
danach spricht man von Leben und von Toden,
so wie du gingst, so kommst du wieder her.

MEISTERSONETT

So wie du gingst, so kommst du wieder her,
noch bist ein Funken nur, noch keine Flamme,
bald hülltest du dein Herz in schwarzen Teer,
indessen weiß geschrieben stand ein Name:

Christina. In dir wie ein Ozean
aus meistens unerwiderten Gefühlen,
den Fragen nach „Weswegen nur“ und Wann
erwärmt sich nachts, um morgens abzukühlen.

Das war vielleicht vom Schicksal gar nicht dumm,
nicht Kaviar, doch Salzbrot aufzutischen,
weil dachte wohl: „Bald ist es eh herum.“

Es kommt das kosmische nun Abenteuer,
der Hoffnung grünen Zweig nur zu erwischen
auf langem Weg zu ihm als ewig’ Feuer.

10/2012

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