Pünktlich zum runden Geburtstag von Wendelin Mangold erschien im BKDR Verlag eine Festschrift, die das Leben und Wirken dieses bekannten Autors ausführlich beleuchtet. Mit diesem Band, dem dritten nach den im ersten Halbjahr 2020 erschienenen Festschriften für Nora Pfeffer und Johann Warkentin setzte das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) seine Festschriftenreihe für bemerkenswerte russlanddeutsche Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller aus Vergangenheit und Gegenwart fort.
Dr. Wendelin Mangold, Autor und eine der prägnantesten Persönlichkeiten der russlanddeutschen Literaturszene, feierte am 5. September 2020 seinen 80. Geburtstrag. Dieses Datum nahm der BKDR Verlag zum Anlass, um in Kooperation mit dem Literaturkreis und der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland einen Sammelband herauszugeben. Zum großen Teil sind es Nachdrucke oder Übersetzungen diverser Quellen, viele Artikel stammen aus alten Ausgaben der Zeitschrift Volk auf dem Weg. Einige Beträge wurden jedoch speziell für diese Publikation verfasst. Monografien zum Leben und Schaffen markanter russlanddeutscher Kulturschaffender sind bisher eine Seltenheit. Umso mehr freuen wir uns über die Gelegenheit, diese Publikationsreihe mit einer Würdigung Mangolds ergänzen zu können.
Mit diesem Jubiläumsband, dem zweiten nach der im Januar 2020 erschienenen Festschrift für Nora Pfeffer, setzt der BKDR Verlag seine Festschriftenreihe für bemerkenswerte russlanddeutsche Künstler, Wissenschaftler, Schriftsteller aus Vergangenheit und Gegenwart fort. Johann Warkentin, geb. 1920 in Spat auf der Krim, wäre am 11.05.2020 hundert Jahre alt geworden. Dieses Datum nahm das BKDR zum Anlass, um in Kooperation mit dem Literaturkreis und der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland einen Sammelband herauszugeben, in dem Warkentin selbst spricht und Schriftstellerkollegen, Historiker und Freunde über ihn und sein Werk zu Wort kommen. Zum großen Teil sind es Nachdrucke oder Übersetzungen diverser Quellen, viele Artikel stammen aus alten Ausgaben der Zeitschrift Volk auf dem Weg oder wurden speziell für diese Publikation verfasst.
Monografien zum Leben und Schaffen markanter russlanddeutscher Persönlichkeiten aus dem Bereich Kultur sind bisher eine Seltenheit. Umso mehr freuen wir uns über die Gelegenheit, diese Publikationsreihe mit einer Würdigung Warkentins ergänzen zu können. Persönlich wie auch durch sein Werk hinterließ er tiefe Spuren auf dem Weg zur Wiederbelebung der russlanddeutschen Literaturszene in der Sowjetunion der Nachkriegszeit und seit Anfang der 1980er auch in Deutschland, vorwiegend jedoch nachdem die Mehrheit der russlanddeutschen Autorinnen und Autoren um 1990 und später in die Heimat ihrer Vorfahren zurückgekehrt war. Seine Ermahnungen an die Adresse der nunmehr in Deutschland lebenden jüngeren Kolleginnen und Kollegen, sein hoher Qualitätsanspruch an das geschriebene Wort, seine kritisch-konstruktiven Bemerkungen, beispielsweise in seiner Monografie Geschichte der russlanddeutschen Literatur aus persönlicher Sicht (hrsg. von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, 1999), behalten zum großen Teil bis heute ihre Signifikanz und Aktualität und prägen weiterhin das Schaffen von Autorinnen und Autoren mit russlanddeutschem Hintergrund.
Erschienen im Juli 2020, unter ISBN 978-3-948589-06-6, 304 S., Hardcover, Preis: 14,- EUR
Bestellungen unter E-Mail: kontakt@bkdr.de oder unter Tel.: 0911-89219599.
„Es ist ein Text, der zum kulturellen Gedächtnis gehört.“ (Prof. Dr. Carsten Gansel, der Herausgeber)
Es ist ein Text, der zum kulturellen Gedächtnis gehört, und dies stark zu machen, das scheint mir wichtig. Unabhängig davon halte ich es für eine grundsätzliche Aufgabe von Literaturwissenschaft, das Gedächtnis zu bewahren und sich auch nicht von Gegenstimmen, die es hier wie da gibt, abhalten zu lassen“, sagt der Literaturwissenschaftler und Herausgeber, Prof. Dr. Carsten Gansel, über den Roman „Wir selbst“ von Gerhard Sawatzky (1901-1944), der Anfang März 2020 im Verlag Galiani Berlin – mehr als 80 Jahren nach seinem Verbot und über 30 Jahre nach der Veröffentlichung der gekürzten Fassung im Literaturalmanach „Heimatliche Weiten“ (1984-1988) – erstmals in Buchform erschienen ist. Der nachstehende Beitrag erzählt über das tragische Schicksal des Autors und das zuerst verschollene Manuskript, über die Bemühungen um die Veröffentlichung des Romans „Wir selbst“ in den 1980er Jahren und heute, den Symbolcharakter des Titels über Jahrzehnte hinweg sowie die Bedeutung des Werkes für die Erinnerungskultur der russlanddeutschen Volksgruppe.
Sawatzkys großer Gesellschaftsroman, der zu Lebzeiten des Autors nie erschienen war und erst in den 1980er Jahren im Almanach „Heimatliche Weiten“ (Moskau) zensiert veröffentlicht werden konnte, ist das „bedeutendste Werk der sowjetdeutschen Vorkriegsliteratur“ (nach Woldemar Ekkert, 1910-1991), das mit der Behandlung des Lebens der Wolgadeutschen in der Zwischenkriegszeit ein untergegangenes Stück Zeitgeschichte darstellt. „Wir selbst“ erzählt von einer untergegangenen Welt, derjenigen der ASSR der Wolgadeutschen (1918-1941). Im häufigen Szenenwechsel zwischen Land und Stadt beschreibt der Roman entscheidende Momente im Leben der Wolgadeutschen von 1920 bis 1937: die Auswirkungen der Oktoberrevolution 1917, den Bürgerkrieg, die Etablierung der Sowjetmacht, den offenen und getarnten Klassenkampf, die Kollektivierung und Industrialisierung.
„Auch wenn Sawatzky schon beim Schreiben die Angst vor stalinistischen Säuberungsaktionen im Nacken saß und er manches unterschlug bzw. beschönigte – sein Buch ist ein höchst bedeutendes Zeitzeugnis“, ist in der Verlagsvorschau zum Buch nachzulesen. Der Herausgeber Carsten Gansel (geb. 1955, Professor für Neuere Deutsche Literatur und Mediendidaktik in Gießen) hat die einzigartige Edition mit einem aufschlussreichen Nachwort und dokumentarischem Material zur Wolgadeutschen Republik und ihrer Literatur versehen.
Hugo Wormsbecher: „… ein großes Ereignis für unsere ganze Literatur, für unsere Kultur, für unsere Geschichte …“
Gerhard Sawatzky wurde 1901 in der Südukraine geboren, verbrachte seine Kindheit in Westsibirien und studierte am Leningrader Pädagogischen Herzen-Institut. Danach arbeitete er zuerst als Lehrer, dann als Journalist und Autor im Wolgagebiet. Sawatzky, der als wichtigster Literat der jüngeren Generation der Wolgadeutschen und Vorkämpfer einer eigenständigen „sowjetdeutschen“ Literatur galt, vollendete 1937 sein Werk „Wir selbst“. Noch bevor der Roman, der bereits in Druckvorbereitung war, veröffentlicht wurde, wurde Sawatzky Ende 1938 verhaftet und starb 1944 im GULag Solikamsk. Sawatzkys Witwe Sophie Sawatzky gelang es jedoch, bei der Deportation nach Sibirien unter dramatischen Umständen das ursprüngliche Manuskript zu retten. In den Jahren 1984 bis 1988 wurde der Roman erstmals in voller Fassung (allerdings bearbeitet und zensiert) im Almanach „Heimatliche Weiten“ veröffentlicht.
Zur Bedeutung der Veröffentlichung des Romans „Wir selbst“ erstmals in Buchform schreibt Hugo Wormsbecher (geb. 1938, wohnhaft in Moskau, 1981-1989 Chefredakteur des Literaturalmanachs „Heimatliche Weiten“):
„Schon das erste Erscheinen des Romans von Gerhard Sawatzky in den 1980er Jahren im Literaturalmanach ‚Heimatliche Weiten‘, ein halbes Jahrhundert nach seiner Fertigstellung in der ASSR der Wolgadeutschen und dann seinem baldigen Verbot, war ein großes Ereignis für die Neuentdeckung der bis dahin gesamt verbotenen Vorkriegsliteratur der Russlanddeutschen. Wie auch einige Jahre zuvor die Gründung des Almanachs ein großes Ereignis für unsere ganze Literatur, für unsere Kultur, für unsere Geschichte war.
Die Dichterin Nora Pfeffer gehört mit ihrer poetischen und schriftstellerischen Leistung zu den wichtigsten russlanddeutschen Autoren der Nachkriegszeit. Jahrzehntelang hat sie die Entwicklung der deutschen Literatur in der ehemaligen Sowjetunion mitgeprägt – als Lyrikerin, Übersetzerin, Nachdichterin, Essayistin und Literaturkritikerin. Pfeffers Werke sind in ca. 15 Einzelbänden erschienen, darunter mehrere Versbücher für Kinder, Lyriksammlungen und Bücher mit Nachdichtungen.
Sie wurde am 31. Dezember 1919 in Tbilissi/Georgien in einer Lehrerfamilie geboren. Noras Kindheit endete 1935 abrupt mit der Verhaftung ihrer Eltern. Fünf Kinder, eine taubstumme Tante und die Großeltern blieben vorerst allein, ein Jahr später wurde die Mutter aus dem Gefängnis entlassen. Der Vater, ohne Gerichtsverfahren konterrevolutionärer Tätigkeit bezichtigt, wurde erst nach elf Jahren entlassen und 1956 rehabilitiert.
Nach Abschluss der deutschsprachigen Schule und der Musikfachschule am Konservatorium Tbilissi begann Nora Pfeffer ein Studium der Germanistik und Anglistik, das sie extern am I. Moskauer Staatlichen Pädagogischen Fremdspracheninstitut fortsetzte. Gleichzeitig unterrichtete sie die deutsche Sprache am Medizinischen Institut Tbilissi. Weil sie sich weigerte, von ihrem Vater loszusagen, wurde sie exmatrikuliert und auch aus der Musikfachschule ausgeschlossen. 1940 verlobte sie sich mit Juri Karalaschwili, dem Enkel des georgischen Katholikos. Im August 1941 wurde ihr Sohn Rewas geboren (Er verstarb 1989 mit nur 48 Jahren). „Nora Pfeffer – eine Würdigung zum 100. Geburtstag“ weiterlesen
In Erinnerung an Dominik Hollmann – zum 120. Geburtstag
von Nina Paulsen
Wie lange soll der Frost noch dauern? / Wann scheint die Sonne warm und mild? / Wann darf auf heimatlichen Auen / mein Volk vereint ich wieder schauen – / des Sehnsuchtstraumes süßes Bild.
In diese Zeilen aus seinem Gedichtzyklus „Meine Herzenswunde blutet…“ hat Dominik Hollmann seinen ganzen Herzensschmerz über die erniedrigende und rechtlose Lage seiner Volksgruppe gelegt. Das Problem der Gleichberechtigung der Russlanddeutschen in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg hat den anerkannten Prosaschriftsteller und Lyriker, Essayisten und Publizisten, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Zeit seines Lebens beschäftigt. Er hatte nie aufgehört, den Anspruch der Russlanddeutschen auf diese Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzufordern.
Dominik Hollmann kam am 12. August 1899 in Kamyschin/Wolga zur Welt. Die Mutter (an seinen Vaters konnte er sich nicht erinnern) hielt die Familie als Waschfrau, Näherin oder Magd mit Müh und Not übers Wasser. So sah sich auch Dominik ganz früh auf sich selbst gestellt. Die städtische Vierklassenschule und ein Lehrerkurs in Kamyschin, den er 1916 abschloss, war die erste Station auf dem Weg zum ersehnten Lehrerberuf. Schon mit siebzehn begann seine Lehrtätigkeit – zuerst in der deutschen Kirchenschule in seiner Heimatstadt, später in Rothammel, Erlenbach und Marienfeld. Als in Engels 1928 die Deutsche Pädagogische Hochschule eröffnet wurde, war Hollmann bereits Oberhaupt einer sechsköpfigen Familie – ein Direktstudium kam vorerst nicht in Frage. Nach zwei Jahren Fernstudium an der Moskauer Staatsuniversität, setzte er 1932-1935 seine Ausbildung an der Deutschen Pädagogischen Hochschule in Engels fort. Danach war er sechs Jahre Dozent und Dekan des Fachbereichs für deutsche Sprache und Literatur an derselben Hochschule.
Bereits während des Studiums und in der Folgezeit trat Hollmann als Autor, Übersetzer, Nachdichter und Lehrbuchverfasser hervor. Seit 1923 schrieb der junge Dorflehrer Berichte für die Zeitung „Nachrichten“, bald auch Kurzgeschichten über das Dorfleben. In den 1930er Jahren veröffentlichte er Gedichte, Kurzerzählungen und Kritiken in der deutschen Presse. Hollmann verfasste außerdem Lehrbücher der deutschen Grammatik für Schulen, stellte ein Lesebuch für Erwachsene zusammen, machte zahlreiche Übersetzungen aus dem Russischen für den Deutschen Staatsverlag und wirkte aktiv im Schriftstellerverband der ASSR der Wolgadeutschen mit. 1940 wurde er in den Schriftstellerverband der UdSSR aufgenommen. „„Meine Herzenswunde blutet …““ weiterlesen
Das Gefühl, die Zeit läuft einem weg, kennt jeder. Wie oft rennt man ihr vergebens hinterher, weil man den richtigen Moment, mit ihr Schritt zu halten, redlich verpasst hat. Sie zu stoppen, wäre absoluter Unsinn, der offensichtlich zu einem Weltchaos führen würde. Aber man kann es versuchen, ihr etwas voraus zu sein, sie zu prognostizieren, sich durch ihre Bestimmtheit inspirieren zu lassen.
Wendelin Mangold, der sich als namhafter Dichter, Schriftsteller und Übersetzer in unserer russlanddeutschen gegenwärtigen Literatur bewiesen hat, lernte es, mit der Zeit, in die er hineingeboren ist, eine unvergängliche und beschwörende Verbindung herzustellen. Er ist mit ihr per du – foppt und neckt sie manchmal, nimmt aber auch mit dankendem Handkuss ihre reizenden Augenblicke, mit denen sie ihn liebevoll beschenkt, in sich auf. Dann schweben ihm Bilder vor, die ihm die Welt ganz spontan von einer aufreizenden Seite erscheinen lassen und seiner empfindlichen Dichterader neue Formen und Farben verleihen:
Von unten nach oben geschaut, pinseln die Baumwipfel den Himmel blau.
In seiner Spontanität verhüllt der Dichter alltägliche Erscheinungen in ein lyrisches Tuch aus Irrealität, die seiner Fantasie freies Wortspiel lassen. Locker und ungezwungen bewegt sich Wendelin Mangold im unendlichen Labyrinth der Wörter, die er behutsam mit seinen Gefühlen mischt und aufs Papier überträgt. In seiner Zielstrebigkeit, der Zeit gerecht zu bleiben, versucht er sich in allen literarischen Genres und schreibt zu allen möglichen Themen. Seine Gedichte, von lyrischen bis explosiven, sind übersät mit sprunghaften Epithetons und ähneln häufig einer Einladung zur Diskussion „über das, was vor uns war und über das, was noch bevorsteht“: „Die weinenden Steine der Zeit“ weiterlesen