Bezüglich der Bezüge

In dem Reisebericht „Couchsurfing in Russland“ von Stephan Orth las ich kürzlich den folgenden Satz: „Ein Mountainbike steht am Wohnzimmerfenster, das teurer ist als alle Möbel zusammen.“

An dieser Stelle drängt sich dem aufmerksamen Leser die Frage auf, was da eigentlich teurer ist als alle Möbel zusammen. Vermutlich das Mountainbike, denn über die Preise von Wohnzimmerfenstern weiß ich, ehrlich gesagt, höchst wenig. Der Aufbau des Satzes suggeriert jedoch etwas anderes. Die Falle, in die der Autor getappt ist, tut sich dann auf, wenn in einem Satz mehrere Substantive desselben Geschlechts vorhanden sind, auf die anschließend ein Relativpronomen folgt. Dieses bezieht sich nämlich immer auf das letztgenannte Substantiv davor, das dasselbe Geschlecht hat wie das Relativpronomen. Geht man von dieser Regel aus, wäre in dem oben genannten Satz tatsächlich das Wohnzimmerfenster teurer gewesen als die Möbel. Ob das der Autor dann so explizit herausgestellt hätte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ein Fahrrad, das teurer ist als die Wohnungseinrichtung, ist schon eher eine Erwähnung wert. Dann hätte der Satz allerdings anders formuliert werden müssen: „Am Wohnzimmerfenster steht ein Mountainbike, das teurer ist als alle Möbel zusammen.“ „Bezüglich der Bezüge“ weiterlesen

Verträgliche Verträge

Seit ich die Beiträge für diesen Blog schreibe, ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich auch in Gesprächen mit Sprechern anderer Muttersprachen noch genauer hinhöre. So geriet ein russischer Freund neulich etwas ins Schlingern, als er mir erklärte, etwas sei ihm „verträglich zugesichert“ worden. In diesem Moment fiel ihm allerdings selbst auf, dass das wohl einer der vielbeschriebenen Stolpersteine des Deutschen sein könnte. Ich selbst hatte mir noch nie darüber Gedanken gemacht, wie viel die ä-Pünktchen in diesem Fall ausmachen. Er aber sah mich nun zweifelnd an und fragte vorsichtshalber noch einmal nach: „Verträglich oder vertraglich?“

Natürlich kann man auch Verträge verträglich gestalten – gerade von „sozial verträglich“ ist in diesem Zusammenhang häufig die Rede. Dennoch ändert dieser Umstand nichts an der Tatsache, dass das eine mit dem anderen zumindest lexikalisch erst einmal nichts zu tun hat, denn „verträglich“ kommt von „vertragen“, während das Adjektiv zu „Vertrag“ „vertraglich“ ist. Da aber ein Vertrag eine „beidseitig übereinstimmende Willenserklärung“ ist, eröffnet sich einem beim Blick in ein etymologisches, also ein Herkunftswörterbuch, dass der Begriff „Vertrag“ durchaus daher kommt, dass man sich miteinander „verträgt“.
So kann man sich nur wünschen, dass vertragliche Bestimmungen immer verträglich sein mögen, damit man sich infolge eines Vertrages nicht irgendwann nicht mehr verträgt.

Carola Jürchott

www.lust-auf-geschichten.de

Autorenfachtagung „Feder – Kuli – Tastatur 3“ in Nürnberg

Annelore Engel-Braunschmidt: „Ihr müsst selbst den Kreis durchbrechen.“

Zum dritten Mal lud die Landesgruppe Bayern der LmDR russlanddeutsche Autoren, Kulturschaffende und Kulturvermittler der landsmannschaftlichen Gliederungen zur Fachtagung „Feder – Kuli – Tastatur“ für schreibende Kreative ein, die vom 23. bis 25. Juni 2017 in Nürnberg stattfand. Das Projekt wurde aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration gefördert. Zur Eröffnung am 23. Juni berichtete der Bundesvorsitzende der LmDR, Waldemar Eisenbraun, über die Situation des Verbandes und der Deutschen aus Russland in der Bundesrepublik. Am nächsten Tag begrüßte der Vorsitzende der Landesgruppe Bayern, Ewald Oster, die Teilnehmer und brachte sich in die Diskussionen ein. Auch die Mitglieder des Landesvorstandes, Albina Baumann, Valentina Wudtke und Nelli Geger (Vorsitzende der Jugend-LmDR Bayern), beteiligten sich an der Arbeit des Seminars. Die Moderation lag traditionell in den Händen von Waldemar Weber (Schriftsteller und Verleger aus Augsburg) und Maria Schefner (Autorin und Projektleiterin aus München). „Autorenfachtagung „Feder – Kuli – Tastatur 3“ in Nürnberg“ weiterlesen

Reflexe beim Reflexiven

Immer wieder lese ich in Texten, dass reflexive Verben im Deutschen ausschließlich mit dem Pronomen „sich“ gebildet werden. Das ist zunächst durchaus verständlich, wenn man bedenkt, dass die Endung „-ся“ im Russischen nur dahingehend veränderlich ist, dass sie in einigen Flexionsformen zu „-сь“ wird. An die grammatische Person wird sie jedoch nicht direkt angepasst. Damit sind wohl auch Sätze zu erklären, in denen auf Personen wie „ich“ oder „du“ dennoch sozusagen reflexartig ein „sich“ folgt, was jedoch im Deutschen nicht nur falsch ist, sondern auch sofort als die Formulierung eines Nichtmuttersprachlers erkannt wird.

Im Deutschen ist unbedingt darauf zu achten, dass die Reflexivpronomina unmittelbar mit den Personen zusammenhängen und – auch in zusammengesetzten Konstruktionen – mit ihnen in Übereinstimmung (Kongruenz) gebracht werden müssen. Also:
„Ich habe leider vergessen, mich zu waschen.“
„Du solltest darauf achten, dich besser auszudrücken.“
„Es fällt uns leider schwer, uns daran zu erinnern.“
„Ihr müsst daran denken, euch rechtzeitig einzufinden.“ „Reflexe beim Reflexiven“ weiterlesen

LYRISCHER MAGNETISMUS oder „Mitteilungen einer Saatkrähe“ von Andreas Peters

Es scheint, die Zeit der narrativen Lyrik sei endgültig vorbei, was aber kein Grund ist, sie total abzuschreiben und ihr den Rücken zu kehren. Die Lyrik wird immer assoziativer und verrätselter bis zu pathologischen Auswüchsen, bald dicht an der Grenze der krankhaften Absurdität und Fantasie, wenn nicht gar wahn- und irrsinnig, fast nach dem Prinzip je oller desto doller. Und das fordert bestimmt den traditionellen und konventionellen Lyrik-Leser immer mehr heraus. Tatsache ist auch, dass der Lyrik im literarischen Prozess nur noch eine Nischenrolle zugeteilt wird. War früher Krimi-Literatur Ausnahme, ist die Zeit der Horror- Fantasie- und Science-Fiction-Literatur seit Jahrzehnten ungebrochen auf dem Vormarsch und der Büchermarkt regelrecht überschwemmt.

Nun kommen wir zur Lyrik des Dichters Andreas Peters, vorgestellt in diesem Band. Ist Peters ein schwieriger und unverständlicher Dichter? Ich würde das nicht sagen. Nicht vordergründig  – ja, unverständlich – nein. Denn viele seiner Gedichte sind Entdeckungen und Überraschungen. Er schnürt und bündelt seine Gedichte nicht mit roten Fäden des Endreims und baut nicht unbedingt strenge Strophenkästen und vergeht sich nicht unbedingt in dem leierhaften syllabotonischen Versbau. Aber was hält dann seine Texte zusammen? Eine gerechte Frage. Das sind kaum bemerkbare Stränge, vergleichbar mit Gehirnsynapsen, da Peters ein einfühlsamer und feingesponnener Mensch, oder chirurgische Nahtstichen, da Peters ausgebildeter Krankenpfleger ist und viele Jahre in diesem Bereich hauptberuflich tätig ist. „LYRISCHER MAGNETISMUS oder „Mitteilungen einer Saatkrähe“ von Andreas Peters“ weiterlesen

Zahlen bitte!

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Zahlen nicht übersetzt werden müssen, weil sie ja „sowieso in allen Sprachen gleich“ sind. Mit dieser Begründung versuchen Auftraggeber von Übersetzungen, den Preis zu drücken, und angehende Übersetzer müssen hinnehmen, dass ihnen, wenn auch sie diesem Irrtum erliegen, in Prüfungen wegen Ususverletzungen Punkte abgezogen werden.
Stehen Zahlen im Text, müssen die verbalen Anschlüsse natürlich übersetzt werden, doch auch die Ziffern selbst haben es mitunter derart in sich, dass selbst renommierte Museen gegen Fehlleistungen nicht gefeit sind. So findet sich auf dem deutschsprachigen Flyer, der für die Ausstellung der modernen Kunst wirbt, die Angabe des 20. Jahrhunderts als römische Zahl, was im Deutschen völlig unüblich ist. Hier werden Jahrhunderte grundsätzlich mit arabischen Ziffern angegeben.

Ein weiterer erheblicher Unterschied findet sich bei der Darstellung großer Zahlen im Russischen und Deutschen. Während es im Russischen ganz normal ist, Tausender als Dezimalzahlen anzugeben wie etwa „45,6 тыс.“, ist eine derartige Struktur im Deutschen außer in statistischen Tabellen erst im Millionenbereich zulässig. „45,6 тыс.“ kann im Deutschen entweder mit einem Punkt als Trennzeichen für die Tausenderstellen angegeben werden: „45.600“ oder mit einem Leerzeichen an derselben Stelle: „45 600“. Beide Möglichkeiten gelten auch für größere Zahlen. 45,6 Millionen können neben dieser ausführlichen Schreibweise also auch folgendermaßen angegeben werden: „45.600.000“, „45 600 000“ oder auch „45,6 Mio.“ In jedem Fall ist zu beachten, dass im gesamten Text eine einheitliche Schreibweise verwendet wird. „Zahlen bitte!“ weiterlesen

Ist jedes „юбилей“ ein „Jubiläum“?

Schaut man sich zunächst das semantische Feld des Begriffs „Jubiläum“ im Deutschen und im Russischen an, könnte man auf den Gedanken kommen, es sei tatsächlich so. So steht im Duden als Bedeutungserklärung: „festlich begangener Jahrestag eines bestimmten Ereignisses“, und auch in der russischen Wikipedia findet man: „празднование годовщины (выражающейся в круглых и крупных числах, обычно кратных 5) деятельности какого-нибудь лица или учреждения“. Wäre es wirklich an dem, wäre dieser Beitrag natürlich überflüssig, und so wird sich der aufmerksame Leser schon denken können, dass auch hier der Teufel wieder im Detail steckt.

So findet man in Beiträgen von Menschen mit einem russischsprachigen Hintergrund auch Formulierungen wie „Herrn Schmidt zum 70. Jubiläum“ oder „zum 150. Jubiläum des Schriftstellers“. Sicher, bei penibler Betrachtungsweise erscheint diese Aussage gerade mit Blick auf die Definition des Dudens nicht falsch, geht es doch darum, dass sich die Geburt von Herrn Schmidt oder dem berühmten Schriftsteller zum 70. oder 150. Male jährt. Dennoch ist es im Deutschen unüblich, Geburtstage oder auch Hochzeitstage explizit als „Jubiläum“ zu bezeichnen (selbst wenn ein Geburtstagskind scherzhaft durchaus auch als „Jubilar“ betitelt wird), da der deutsche Usus der eigentlich in der russischen Wikipedia gegebenen Erklärung besonders strikt folgt. Wenn man in einem Text den Begriff „Jubiläum“ liest, assoziiert man damit tatsächlich in erster Linie den Jahrestag einer Tätigkeit oder eines Zustandes (Betriebszugehörigkeit, Vereinsmitgliedschaft, Existenz einer Stadt oder einer Einrichtung etc.). Hierfür wären allein schon Zahlenwerte wie 70 und erst recht 150 höchst unwahrscheinlich, dass sie die Dauer eines Menschenlebens gemeinhin überschreiten. „Ist jedes „юбилей“ ein „Jubiläum“?“ weiterlesen

Ivan oder Iwan?

Wohl jeder, der schon einmal eine Urkunde oder ein anderes Dokument aus dem Russischen ins Deutsche übersetzen lassen musste, wird sich über die seltsame Umschrift der ursprünglich mit kyrillischen Buchstaben vermerkten Namen gewundert haben. Diese auf den ersten Blick merkwürdige Transliteration ist der Notwendigkeit der Eineindeutigkeit geschuldet, d. h. einem kyrillischen Zeichen muss auch genau ein lateinisches Zeichen entsprechen, damit die Schreibweise, falls nötig, auch wieder zurückverfolgt werden kann. So wird aus einem „я“ ein „â“, aus einem „ш“ ein „š“ und einem „э“ ein „ė“, und in vielen Fällen könnte wahrscheinlich weder ein Muttersprachler des Russischen noch des Deutschen das Ergebnis ohne zu stocken aussprechen.

Was macht man also, wenn man einen Text verfasst, in dem russische Namen vorkommen? Die einzige für Urkunden gültige Transliteration, als nach der ISO-Norm, ist offensichtlich keine gangbare Lösung. Auch an der zusätzlichen lateinischen Schreibweise von Namen im ursprünglichen Pass kann man sich, selbst, wenn man sie kennt, nicht unbedingt orientieren. Wurde zu Zeiten der Sowjetunion beispielsweise eine Transliteration verwendet, die sich nach dem Französischen als Diplomatensprache richtete (da wurde „Павел Корчагин“ zu „Pavel Kortchaguine“), ist heute in russischen Pässen eine an das Englische angelehnte Umschrift üblich, die dafür Varianten aufweist wie „ts“ für „ц“ und „kh“ für „х“, die für Deutsche, die der russischen Phonetik ebenfalls nicht mächtig sind, schwer nachvollziehbar sein können. „Ivan oder Iwan?“ weiterlesen

Nelli Kossko wird 80!

Wir gratulieren herzlich unserem Vorstandsmitglied, der Autorin Nelli Kossko, die am 29. August stolze 80. Jahre geworden ist, und wünschen ihr weiterhin viele kreative Ideen für neue Zeitungsartikel und Bücher! Der Literaturkreis nahm dieses Datum zum Anlass, eine Festschrift unter der Federführung von Agnes Gossen herauszugeben. Die Details dazu erfahren Sie demnächst unter der Kategorie „Archiv“ hier auf unserer Internetseite.

So sieht das Cover des Buches aus: 

Nelli Kossko wurde am 29. August 1937 in Marienheim bei Odessa in der Familie eines Lehrers geboren. Im gleichen Jahr wurde ihr Vater verhaftet und kurz darauf hingerichtet. Im Zuge der „administrativen Umsiedlung“ gelangte sie ihrer Mutter 1944 über Warthegau/Polen nach Dresden. Nach Kriegsende wurde die Familie in den Norden des europäischen Teils der Sowjetunion „repatriiert“. 1952 verbannte man sie in das Gebiet Magadan im Fernen Osten. 1956-1961 studierte Nelli Kossko Germanistik und Anglistik an der Pädagogischen Hochschule Jekaterinburg und lehrte anschließend als Germanistikdozentin an der heutigen Schewtschenko-Universität in Tiraspol sowie an den Hochschulen in Nischni Tagil (Gebiet Swerdlowsk) und zuletzt in Belzy. 1975 kam Nelli Kossko nach Deutschland. 1977-1995 war sie als Redakteurin bei der Deutschen Welle in Köln tätig, anschließend sechs Jahre als Chefredakteurin und Herausgeberin der russischsprachigen Zeitung „Wostotschny Express“ „Nelli Kossko wird 80!“ weiterlesen

Deutsche Sprache – schwere Strafe

Ein Auszug aus dem Buch „Bittere Bonbons“ von Milla Dümichen

Eine Bekannte sagte neulich zu mir: „Du sprichst aber gut Deutsch!“ Ihr Lob tat mir gut. Wenn ich daran denke, dass ich Deutsch erst mit 40 Jahren lernen musste, dann bin ich stolz auf mich. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Germanen ursprünglich vor ca. 10.000 Jahren aus dem Ural kamen und sich Jahrhunderte lang westwärts bis zum Schwäbischen Meer verbreiteten. Hinter dem Ural bin ich geboren. Vielleicht half mir das?

Das ist natürlich nicht ernst gemeint, aber genau in diesem Moment denke ich daran, wie viele Wörter deutscher Herkunft in der russischen Sprache zu finden sind. Im 16. Jahrhundert kamen viele Deutsche nach Moskau. Einige waren vom Zar angeworben, meist Ärzte, Lehrer, Militärpersonen oder Kaufleute. Viele deutsche Wörter wurden von den Russen aufgegriffen und sind bis heute im Umlauf: Бутерброт – Butterbrot, галстук – Halstuch, курорт – Kurort, шнур – Schnur, шахта – Schacht, штрек – Strecke.

Früher habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht, bis ich 1992 nach Deutschland kam. Dass Deutschlernen so schlimm werden würde, hatte ich nicht gedacht. Sofort belegte ich einen Sprachkurs. Als nach vier Wochen kein Erfolg zu spüren war, suchte ich mir Arbeit. Dort werde ich gefordert, dachte ich mir. „Deutsche Sprache – schwere Strafe“ weiterlesen