Sag mir, wie du heißt … (2)

Nachdem wir im vorigen Beitrag begonnen haben, uns mit der Namensgebung für literarische Figuren zu befassen, soll heute auf einen weiteren Aspekt eingegangen werden, der dabei eine Rolle spielt. Die zweite Ebene der Namensgebung ist die zeitliche. So ist es zumindest im Deutschland des 20. Jahrhunderts relativ gut möglich, die jeweilige Figur anhand des Namens einer bestimmten Generation zuzuordnen. So hießen meine Urgroßmütter beispielsweise Helene, Luise, Dorette und meine Großmütter Elfriede und Hedwig. Hört man diese Namen heute, kann man für die damalige Zeit zumindest abschätzen, dass Erstere noch im 19. Jahrhundert, Letztere hingegen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geboren wurden.
Waren in der Generation meiner Eltern Namen wie Jürgen, Achim und Gerhard bei den Männern verbreitet, hießen die Frauen Inge oder Ingeborg, Ursula und Helga. Diese Namen sind in meiner Generation ebenso selten zu finden wie die für uns typischen Namen Thomas, Steffen und Karsten oder Katrin, Susanne und Ines unter den Altersgenossen unserer Eltern. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen, die die Regel bestätigen, und Namen, die trotz allem zeitlos sind; dennoch hat man, wenn man einen bestimmten Namen liest, erst einmal ein Bild von der jeweiligen Person im Kopf, zu dem auch diese zeitliche Einordnung gehört.


Aufgeweicht wurde dieses Generationenmuster, soweit ich es beurteilen kann, in den 1990er-Jahren, denn seit diesem Zeitpunkt sind die Namen weit weniger Modetrends unterworfen. So halten sich Maria, Julia, Maximilian und Lukas weit hartnäckiger in den Hitlisten der beliebtesten Vornamen, die Babys gegeben werden, als das zu früheren Zeiten der Fall war.
Überlegt man sich nun als Autor, welche Namen man seinen Figuren geben möchte, ist es durchaus hilfreich, sich die Listen der beliebtesten Vornamen anzusehen, die in der Zeit vergeben wurden, in denen die Figuren der Erzählung oder des Romans geboren wurden. So vermeidet man, dass beim Leser das Gefühl entsteht, es stimme etwas nicht, wie z. B., wenn ein um die Jahrtausendwende geborenes Mädchen etwa Regina heißen würde.
Andererseits kann man untypische Namen auch bewusst verwenden, wenn man damit ein bestimmtes Ziel verfolgt, etwa, um darzustellen, dass ein Kind wegen seines Namens gehänselt wurde.


Bei Kinderbüchern fordern besonders marktorientierte Verlage inzwischen übrigens von den Autoren, dass die Protagonisten Namen tragen, die unter den 20 beliebtesten Vornamen für die jeweilige Zielgruppe sind. Man geht davon aus, dass sich Kinder am besten mit Figuren identifizieren können, die ihren eigenen (oder zumindest einen in ihrem Umfeld häufiger vorkommenden) Namen tragen.


Allerdings sollte man hierbei auch den lokalen Aspekt nicht außer Acht lassen, gerade wenn man sich in einem Sprachraum bewegt, der mehrere Kommunikationsgemeinschaften umfasst. So müssen die in Deutschland beliebtesten Namen eines bestimmten Zeitraums sich beispielsweise in Österreich oder der Schweiz nicht zwangsläufig derselben Popularität erfreuen. Auch dieser Frage gilt es für einen Autor nachzugehen, wenn sein Buch eine solche Spezifik aufweist.


Carola Jürchott
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