Trau, schau, wem?

Der Inhalt dieser Redewendung, die meine Großmutter so gern benutzte, erschloss sich mir in meiner Kindheit erst nach und nach, und auch die grammatikalischen Fallstricke, die zumindest das erste der beiden Verben in sich birgt, treten hier noch nicht so offensichtlich zutage.
Häufig hört man nämlich Sätze wie:
„Ich traue mir das nicht.“
Liest man nun die Überschrift, könnte man denken: „Natürlich, ‚trauen‘ verlangt den Dativ.“ Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit.
Wenn es wie in der Redewendung darum geht, ob man jemandem trauen kann, ist das zweifellos richtig. Hier geht es um das Vertrauen, das man einer Person entgegenbringt, und dafür ist der Dativ natürlich das einzig Wahre.


Geht es aber um die reflexive Form dieses Verbs, ist es zugegebenermaßen etwas schwieriger zu erkennen, ob das „sich“ in „sich trauen“ nun für den Dativ oder den Akkusativ steht. Der Duden gibt Aufschluss und markiert den im obigen Beispielsatz verwendeten Dativ als „selten, landschaftlich“. Mit anderen Worten: Was im Dialekt erlaubt ist, ist in der Standardsprache noch lange nicht legitim. Gerade was den Dativ angeht, wissen Berliner davon ein Lied zu singen.
Hier muss es nämlich richtig heißen: „Ich traue mich das nicht.“ Noch besser wäre es natürlich, das, was man sich nicht traut, als Infinitiv anzuschließen: „Ich traue mich nicht, über den See zu schwimmen.“
Möchte man dennoch nicht auf den Dativ verzichten, muss man sich einer Vorsilbe bedienen. Wenn man sich etwas zutraut, steht das „sich“ nämlich wieder für den Dativ: „Traust du dir zu, allein dorthin zu gehen?“


Weniger strittig ist übrigens der andere Gebrauch dieses reflexiven Verbs: „sich irgendwohin trauen“. Da herrscht traute Einigkeit, und man hört den Dativ (außer bei ganz hartgesottenen Dialektsprechern) fast nie, sondern immer:
„Ich traue mich nicht aus dem Haus.“
oder: „Er traut sich nicht in die Schule.“
Ebenso verhält es sich natürlich mit der Trauung an sich. So würde niemand einen Dativ vermuten, wenn zwei Liebende freudig verkünden: „Wir haben uns getraut!“ Dass das Prädikat dieses Satzes durchaus für beide Wortbedeutungen (die des Wagnisses und die der Eheschließung) stehen kann, ist dabei in den meisten Fällen sicher durchaus gewollt.

Carola Jürchott
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