Meine, deine, unsere

Zugegeben, der Kalauer über Patchwork-Familien „Liebling, komm schnell, meine Kinder und deine Kinder verhauen unsere Kinder!“ ist vielleicht weder originell noch politisch korrekt. Doch er verdeutlicht meiner Meinung nach besonders anschaulich, dass Possessivpronomen in Verbindung mit Verwandtschaftsbezeichnungen keineswegs überflüssig sind.

Im Deutschen gilt das nicht nur für Verwandte, deren man mehrere haben kann, wie Kinder, sondern auch für die exklusiven Vertreter der Spezies: Vater und Mutter. Diese Bezeichnungen werden, wenn man von den eigenen Eltern spricht, ebenfalls mit „mein“ oder „unser“ verwendet, auch wenn sich die Zugehörigkeit aus dem Kontext eindeutig ergibt. Natürlich findet man in der Literatur auch in diesem Zusammenhang den Gebrauch des bestimmten Artikels, etwa wenn Rotkäppchen sagt: „Ich besuche die Großmutter!“ Diese Form ist heute jedoch nicht mehr sehr verbreitet; Rotkäppchen würde inzwischen wohl sagen: „Ich gehe zu meiner Oma.“

Heute deutet der Gebrauch des bestimmten Artikels auf ein eher distanziertes Verhältnis und darauf hin, dass nicht ein Verwandter des Sprechenden gemeint ist, sondern der Erzähler über eine familiäre Situation berichtet, wie – um wieder ein Märchen zu zitieren – in „Hänsel und Gretel“: „Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater …“ „Meine, deine, unsere“ weiterlesen

Immer schön der Reihe nach

Wie haben wir uns im Übersetzungsunterricht mit den verschiedenen Arten russischer Partizipien gequält! Brauchen wir für den konkreten Fall nun ein Partizip Präsens Aktiv oder doch ein Partizip Präteritum Passiv? Was immer es war, im Deutschen ließen sich diese russischen Konstruktionen meist nur durch Umschreibungen als Attribute oder ganze Nebensätze auflösen. Noch verzwickter aber waren die Adverbialpartizipien, denn hier gibt es die Kategorien der Gleichzeitigkeit und der Vorzeitigkeit, über die man meist noch einen Augenblick länger nachdenken muss.

Während es bei der Gleichzeitigkeit erprobte Übersetzungsverfahren gibt, um Sätze wie:

„Он ждал ее, читая книжку.“ zu übersetzen („Er wartete auf sie und las dabei ein Buch.“, „Während er auf sie wartete, las er ein Buch.“),

gibt es bei der Vorzeitigkeit (wie zum Beispiel in dem Satz „Прочитав книгу, я отложил ее в сторону.“) einiges mehr zu beachten. „Immer schön der Reihe nach“ weiterlesen

Wohin mit dem Ort?

SPO – Wer irgendwann einmal Englisch gelernt hat, wird diese Buchstabenkombination wohl nie wieder vergessen. Immerhin steht sie für einen der Grundpfeiler der englischen Sprache: die Wortfolge innerhalb eines Aussagesatzes. Sie ist es auch, die Nichtmuttersprachlern immer wieder Probleme bereitet, denn immer noch hält sich hartnäckig die Meinung, dass das im Deutschen alles viel einfacher, weil freier, sei. Natürlich, bei uns gibt es die strikte Reihenfolge Subjekt – Prädikat – Objekt nicht, aber einige Regeln müssen dennoch beachtet werden. Dass das Verb im einfachen Hauptsatz an zweiter und im Nebensatz an letzter Stelle steht, ist eine Binsenweisheit, andere Satzglieder aber machen immer wieder Schwierigkeiten, gerade bei der Übertragung aus anderen Sprachen.

So ist es im Russischen völlig normal, eine Adverbialbestimmung des Ortes direkt an das Attribut anzuschließen, auf das sie sich bezieht. Das sicher bekannteste Beispiel für eine solche Konstruktion stammt aus dem Lied der Trickfilmfigur Tscheburaschka, der über seinen Freund Gena singt: „Wohin mit dem Ort?“ weiterlesen

Doppelt hält nicht immer besser

Wer kennt sie nicht, die berühmten Doppelbezeichnungen für Personen, als deren Standardbeispiel im Russischunterricht immer Walentina Tereschkowa herhalten musste: „женщина-космонавт“?! Doch auch im nichtkosmischen Sprachgebrauch begegnet man ihnen immer wieder, sei es nun der инженер-строитель oder, wie es in historischen Texten häufig vorkommt, die „немцы-спецпоселенцы“.

So verlockend es sein mag, diese Formen einfach auch im Deutschen zu übernehmen, so wenig empfehlenswert ist eine solche Vorgehensweise, da Konstruktionen dieser Art im Deutschen völlig unüblich sind. Wozu auch? Hier gibt es schließlich zusammengesetzte Substantive wie den berühmten „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän“, um ein bekanntes Wortungetüm zu zitieren.

Natürlich gibt es auch im Deutschen die Notwendigkeit, genau das zu verdeutlichen, was mit den russischen Doppelformen ausgedrückt werden soll, und deshalb gibt es auch sprachliche Mittel dafür. Nur unterscheiden sich diese von den russischen so stark, dass man im Deutschen an den Doppelformen sofort den Nichtmuttersprachler erkennt.

Die deutschen Varianten lassen sich im Wesentlichen in drei große Gruppen einteilen. „Doppelt hält nicht immer besser“ weiterlesen

Es ist alles relativ …

„Das ist das schönste Buch, was ich gelesen habe.“

Diesen oder einen ähnlich formulierten Satz haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, sicher auch schon des Öfteren gehört oder – schlimmer noch – gelesen. Sie fragen sich, was daran falsch sein könnte? Eigentlich nichts – wenn mit diesem Satz gemeint ist, dass jemand gelesen hat, dass dies das schönste Buch sei. Möchte man aber ausdrücken, dass dieses eine Buch das schönste ist, müsste es korrekt heißen:

„Das ist das schönste Buch, das ich gelesen habe.“

Beim zweiten Satzteil handelt es sich nämlich um einen Relativsatz, der sich entweder auf die Aussage des gesamten ersten Teils beziehen kann (dann wäre „was“ richtig) oder auf das Buch und damit das letzte sächliche Substantiv vor dem Komma (dann sollte dort unbedingt „das“ stehen).

Ich gebe zu, dass diese Unterscheidung schon relativ spitzfindig ist, denn auch in Texten von Menschen, die nie eine andere Sprache als Deutsch gesprochen oder geschrieben haben, ist der Gebrauch der beiden Relativpronomina häufig sehr verschwommen. Meist macht man sich selbst gar nicht klar, dass zwischen ihnen überhaupt ein semantischer Unterschied besteht. Deutlicher wird es vielleicht noch im folgenden Beispiel: „Es ist alles relativ …“ weiterlesen

Das reinste Hin und Her

„Geh’n wir mal rüber, geh’n wir mal rüber, geh’n wir mal rüber zum Schmied seiner Frau …“

Dafür, dass solche überlieferten Texte nicht immer als Beispiel für grammatisch richtige Formulierungen dienen können oder sollten, ist dieses Volkslied der beste Beleg. Abgesehen von dem mehr als fragwürdigen und wirklich nur im Dialekt erlaubten Genitiv, tritt hier noch ein anderes Problem zutage, mit dem ich bei meinen Korrekturarbeiten immer wieder zu tun habe.

Streng genommen, müsste man nämlich singen: „Geh’n wir mal ’nüber…“, denn hier geht es wieder einmal um den Standpunkt dessen, der diese Äußerung tätigt.

In diesem Fall ist damit der Standpunkt in seinem absolut buchstäblichen Sinn gemeint. Verläuft nämlich die mit dem jeweiligen Verb bezeichnete Handlung (wobei es egal ist, ob es sich um ein Bewegungsverb oder ein anderes – wie zum Beispiel „schauen“ – handelt) vom Redner weg zu einem anderen Punkt, ist die richtige Form immer die Variante mit „hin-“: „hinüber“, „hinunter“, „hinein“. Der Beispielsatz, der das am besten verdeutlicht, ist: „Ich gehe dorthin.“ „Das reinste Hin und Her“ weiterlesen

Gleich und gleich gesellt sich gern …

„Wenn zwei das Gleiche sagen, ist es noch lange nicht dasselbe.“

Mit diesen beiden Sprichwörtern bin ich großgeworden, und während es für das erste durchaus auch Entsprechungen in anderen Sprachen gibt (z. B. „Рыбак рыбака видит издалека.“), dürfte eine Entsprechung für das zweite wesentlich schwerer zu finden sein. Hier wird nämlich mit einer Besonderheit des Deutschen gespielt, die auch Muttersprachlern häufig Schwierigkeiten bereitet – meist, ohne dass sie sich dessen selbst bewusst sind.

Es geht um den Unterschied zwischen „dasselbe“ und „das Gleiche“. Selbst wenn wir die unterschiedliche Rechtschreibung an dieser Stelle einmal außer Acht lassen, gibt es doch einen auf den ersten Blick kleinen, aber dennoch feinen Unterschied: Während „dasselbe“ immer das eine konkrete Substantiv (sei es nun ein Gegenstand, eine Person oder ein Ort) bezeichnet, ist mit dem „Gleichen“ etwas Gleichartiges gemeint. „Gleich und gleich gesellt sich gern …“ weiterlesen

Singular oder Plural?

Man könnte meinen, es sei nichts einfacher, als diese Frage zu beantworten – schließlich sieht man ja, ob etwas einfach oder mehrfach vorhanden ist. Spätestens aber, wenn man als deutscher Muttersprachler erfährt, dass es im Russischen den Schlitten und die Brille nur im Plural gibt, stößt man bereits an die ersten Grenzen dieser Theorie. Ganz zu schweigen davon, dass im Deutschen sowohl die „Hose“ als auch die „Hosen“ einen Singular bezeichnen können – und das sogar noch vom Duden mit der Bemerkung „häufig auch im Plural mit singularischer Bedeutung“ gestattet.

Richtig schwierig wird es aber bei Substantiven in Verbindung mit Adjektiven. So musste auch ich erst lernen, dass meine korrekte Berufsbezeichnung im Russischen „переводчик русского и болгарского языков“ lautet. Als deutscher Muttersprachler würde man hier das Substantiv instinktiv in den Singular setzen.

Dennoch ist die russische Variante eine sehr schöne Möglichkeit, deutlich zu machen, dass etwas zwar gleichartig ist, aber eben doch unterschiedliche Dinge bezeichnet, und zwar in diesem Fall „die russische und die bulgarische Sprache“. „Singular oder Plural?“ weiterlesen

Augen auf bei der Partnerwahl!

Keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, unser Sprachblog soll keineswegs zur Lebenshilfe mutieren, wie man bei der Überschrift vielleicht vermuten könnte. Es geht hier nach wie vor um sprachliche Stolpersteine bzw. vielmehr darum, wie man sie möglichst effektiv vermeiden kann. Auch das kann mitunter eine Frage der richtigen Partnerwahl sein.

In diesem Blog war bereits davon die Rede, dass bestimmte Begriffe gar nicht so spezifisch russisch oder noch eher sowjetisch waren, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. In diesem Zusammenhang habe ich bereits aus dem Nähkästchen des Übersetzers geplaudert. Kürzlich ist mir jedoch beim Lesen eines deutschlandweit bekannten und rezensierten Bestsellers aufgefallen, dass das gar nicht nur zur Debatte steht, wenn von einer Sprache in eine andere übersetzt wird, sondern auch, wenn vermeintlich nur mit einer einzigen Sprache operiert wird. „Vermeintlich“ sage ich deshalb, weil dieses Argument spätestens dann nicht mehr greift, wenn in einem einsprachigen Text verschiedene Kulturen zum Tragen kommen. „Augen auf bei der Partnerwahl!“ weiterlesen

Zeichen setzen mit Zeichensetzung (3)

Im letzten Beitrag dieser kleinen Serie möchte ich noch einmal genauer auf einige Unterschiede in der Kommasetzung zwischen dem Deutschen und dem Russischen eingehen, die mir bei der Korrektur von Texten immer wieder auffallen. Natürlich würde es den Rahmen sprengen, hier die gesamte Kommasetzung im Deutschen zu erläutern, das kann der Duden weit besser als ich. Unterschiede zwischen den beiden hier relevanten Sprachen sollen aber beleuchtet werden, weil sie unter Umständen „verraten“, dass der Autor des Textes nicht immer auf Deutsch geschrieben hat.

So werden Adverbien wie „natürlich“ oder „beispielsweise“ oder auch die Wortfügung „zum Beispiel“ im Deutschen nicht in Kommas eingeschlossen:

„Das war natürlich die beste Entscheidung seines Lebens.“

„Wenn du beispielsweise einen Strudel backen möchtest, brauchst du Blätterteig.“

„In Moskau gibt es zum Beispiel sieben dieser Hochhäuser.“

Anders verhält es sich lediglich, wenn „natürlich“ einen Satz quasi als Ausruf einleitet, doch das ist ein Sonderfall:

„Natürlich, das war die beste Entscheidung seines Lebens!“

Auch „bitte“ wird in der Regel ohne Kommas verwendet:

„Kannst du mir bitte diese Informationen schicken?“

„Bitte schreibe mir, ob du gut angekommen bist!“ „Zeichen setzen mit Zeichensetzung (3)“ weiterlesen