Buchtipp: „Die Wandelbaren“ von Eleonora Hummel

Die Wandelbaren – ein gehaltvoller Roman im handlichen Format, passt in (fast) jede Handtasche. Lässt sich prima als Geschenk verpacken, liegt auch sehr gut unterm Weihnachtsbaum, liest sich leicht und ist lustig.

Eleonora Hummel
Die Wandelbaren
Roman

Traktorist will er werden und die schöne Tochter des Sowchose-Vorsitzenden heiraten. Doch es kommt anders. Feine Leute aus der Stadt engagieren Arnold Bungert, 16, quasi vom Feld der kasachischen Steppe weg, bei den besten Dozenten soll er die Schauspielkunst erlernen. In Moskau! Der Haken: Bühnensprache ist Deutsch, und Arnold Bungert kann kein Wort, trotz seines Namens. Mit ihm wird eine Handvoll Jugendlicher für das Deutsche Theater Temirtau ausgebildet, zur Förderung, so der Plan der Sowjetregierung, der deutschen Minderheit.

In der Metallurgenstadt Temirtau leben allerdings kaum Deutsche, das Publikum ist rar gesät. Dennoch schaffen sich die jungen Schauspieler eine kleine Insel der Freiheit im totalitären Sowjetregime. Sie schmieden politische Pläne, lieben, wetteifern, spielen um ihr Leben. 25 Jahre nach Auflösung des Theaters treffen sie sich wieder. Was ist von ihren Träumen geblieben? Mit „Die Wandelbaren“ legt Eleonora Hummel einen großen Roman vor: In der Tradition bester russischer Erzählkunst erweckt sie ein weithin unbekanntes Stück Wende-Geschichte zum prallen Leben und liefert obendrein eine Liebeserklärung an alle, die die Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben …

„Die Wandelbaren“

ca. 400 S., 11,5 x 18 cm
gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-99014-196-0
erscheint im Oktober
EUR 24,00 | CHF 30,00 (UVP)
Preise inkl. MWSt.

www.muerysalzmann.at/shop/

Gedanken zur trüberen Jahreszeit

Allerheiligen ist vorbei, und der Volkstrauertag und Totensonntag stehen noch bevor. Lange habe ich überlegt, wann der richtige Zeitpunkt ist, um das Thema anzusprechen, das in diesem Beitrag behandelt werden soll. Da diese Jahreszeit ohnehin die „trübe“ genannt wird, passt sie wohl am besten dazu, denn ich finde, gesagt werden sollte es.

Immer wieder lese ich in biografischen Angaben, die aus dem Russischen übersetzt wurden oder einen russischsprachigen Hintergrund haben, jemand sei „aus dem Leben geschieden“, und jedes Mal frage ich mich an dieser Stelle, ob demjenigen, der diese Passage geschrieben oder übersetzt hat, überhaupt bewusst war, was er da schreibt.

Entgegen allen Annahmen ist „aus dem Leben scheiden“ nämlich keine adäquate Übersetzung des im Russischen so gebräuchlichen „ушел из жизни“, das völlig neutral den Fakt des Dahinscheidens als solchen ausdrückt. Im Deutschen kommt bei „aus dem Leben scheiden“ eine entscheidende Konnotation hinzu, die besonders deutlich wird, wenn man diese Redewendung einmal googelt. Dann findet man nämlich in der Mehrzahl Formulierungen, die noch ein weiteres, wesentliches Adverb aufweisen, und zwar „freiwillig“, „selbstbestimmt“ oder Ähnliches. „Gedanken zur trüberen Jahreszeit“ weiterlesen

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser

Unlängst stieß ich bei einer Übersetzung aus dem Russischen ins Deutsche auf den Liedtitel „Малиновый звон“ von Nikolai Gnatjuk. Zwar ist dieser Künstler auch in der DDR aufgetreten, soweit ich mich erinnern kann, beschränkte sich sein ins Deutsche übersetzte Repertoire aber auf einen Schlager mit dem Titel „Ich tanze gern“. Die Chancen, eine Nachdichtung des von mir gesuchten Titels auf Deutsch zu finden, waren also denkbar gering. Auch mit der Formulierung als solcher konnte ich nichts anfangen, weil sich mir der Zusammenhang zwischen Himbeeren und dem Klang einer Glocke nicht erschließen wollte. Deshalb zog ich Multitran zu Rate, das von mir überaus geschätzte und meist sehr hilfreiche Online-Wörterbuch. Doch was musste ich dort als Übersetzung zu „малиновый звон“ lesen? „Himbeerklang der Glocken“!

An dieser Stelle wurde ich ernsthaft stutzig und erinnerte mich wieder einmal daran, dass Multitran – ebenso wie die stark frequentierte Wikipedia – eine nutzerbasierte Plattform ist, in der jeder seine Variante hinterlegen kann. Dass das auch eine Fehlerquelle in sich birgt, liegt auf der Hand. „Vertrauen ist gut, Kontrolle besser“ weiterlesen

Das Magische und das Reale in Sibirien und Kasachstan nach dem Zweiten Weltkrieg

Heinrich Rahn, Die Birkeninsel. Roman. Geest – Verlag. Vechta – Langförden, Deutschland. 2018. 404 Seiten.

Die Birkeninsel ist der dritte „utopisch-phantastische“ Roman von Heinrich Rahn. Schon 2008 erschien im Geest-Verlag sein erster Roman Der Jukagire, in dem in einer Folge von „mythischen Symbolen“ das Schicksal des Waisenjungen Ivan Nickel in der düsteren Atmosphäre der sowjetischen Stalinzeit verdeutlicht wird (siehe die Besprechung im LOG – Heft 123/2009). Der Sohn einer Frau aus dem Nomadenvolk der Jukagiren flieht aus einem sibirischen Straflager und versteckt sich jahrelang in der Taiga, wo er sich in einen Schamanen verwandelt. Auch im Rahns zweiten Roman Aufzug Süd-Nord aus dem Jahr 2011, der im gleichen Verlag erschien, geht es nicht mit rechten Dingen zu (siehe die Besprechung im LOG – Heft 135/2012). Im Spiel sind außerirdische Intelligenzen, die, um auf der Erde zu überleben, in den vorhandenen menschlichen Körpern aus losen Schwärmen feste Substanzen bilden. Sie versuchen die charakterlich schwachen Menschen ethisch und geistig zu verbessern, was ihnen aber nicht gelingt. Der Autor vermischt die realistische Ebene seiner menschlichen Protagonisten mit der Hauptfigur des Ingenieurs Andrej Renn mit vielen mystisch und esoterisch anmutenden Elementen. „Das Magische und das Reale in Sibirien und Kasachstan nach dem Zweiten Weltkrieg“ weiterlesen

Vom Werden und Wachsen

Wie haben wir uns in der Schule gequält, bis wir verinnerlicht hatten, dass man im Russischen den Instrumental verwenden muss, um auszudrücken, was man werden möchte! Immerhin war das eine Frage, die man in diesem Alter öfter gestellt bekam. Auch im Englischen dauerte es eine Weile, bis endlich die ganze Klasse begriffen hatte, dass „become“, das man in eben diesen Fällen verwenden musste, nichts mit dem deutschen „bekommen“ zu tun hat.

Wie einfach war es doch im Deutschen: „Ich möchte Lehrer werden“ – oder was immer man sich gerade vorgenommen hatte. Ein Verb, dahinter noch ein Nominativ – fertig!

Doch ganz so einfach ist es anscheinend doch nicht. Zumindest drängt sich dieser Verdacht auf, wenn man Texte korrigiert, die aus dem Russischen übersetzt wurden. Hier spielt immer wieder einmal der russische Instrumental noch heimlich mit hinein, ob es der Autor nun wollte oder nicht. Da liest man dann Konstruktionen wie „zu einem Lehrer werden“, und schon kommt man dem Ausgangstext wieder auf die Schliche. „Vom Werden und Wachsen“ weiterlesen

Grund und Boden

Diese Wortverbindung ist seit dem 15. Jahrhundert in der deutschen Rechtssprache verbrieft und bezeichnet im direkten Wortsinne Land- oder Grundbesitz. Man findet sie natürlich auch heute noch in der Alltagssprache in Formulierungen wie „auf heimatlichem Grund und Boden“.

Im übertragenen Sinne ist sie ebenfalls noch immer stark vertreten und wird auch dort immer als eine Einheit verwendet, und zwar in unterschiedlichen semantischen Zusammenhängen. So kann man sich nicht, wie es mir unlängst in einem Text begegnete „in den Boden schämen“, sondern ausschließlich in Grund und Boden. Hier wirkt diese Passage nämlich verstärkend, etwa als Synonym zu „zutiefst“.

Diskutiert man hingegen jemanden in Grund und Boden, lässt man ihn entweder gar nicht erst zu Wort kommen oder redet so lange auf ihn ein, bis er sich mehr oder weniger freiwillig der Position seines Gegenübers anschließt. „Grund und Boden“ weiterlesen

„Meine Herzenswunde blutet …“

In Erinnerung an Dominik Hollmann – zum 120. Geburtstag

von Nina Paulsen

Wie lange soll der Frost noch dauern? / Wann scheint die Sonne warm und mild? / Wann darf auf heimatlichen Auen / mein Volk vereint ich wieder schauen – / des Sehnsuchtstraumes süßes Bild.

(c) Privatarchiv R. Bender

In diese Zeilen aus seinem Gedichtzyklus „Meine Herzenswunde blutet…“ hat Dominik Hollmann seinen ganzen Herzensschmerz über die erniedrigende und rechtlose Lage seiner Volksgruppe gelegt. Das Problem der Gleichberechtigung der Russlanddeutschen in der Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg hat den anerkannten Prosaschriftsteller und Lyriker, Essayisten und Publizisten, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Zeit seines Lebens beschäftigt. Er hatte nie aufgehört, den Anspruch der Russlanddeutschen auf diese Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzufordern.

Dominik Hollmann kam am 12. August 1899 in Kamyschin/Wolga zur Welt. Die Mutter (an seinen Vaters konnte er sich nicht erinnern) hielt die Familie als Waschfrau, Näherin oder Magd mit Müh und Not übers Wasser. So sah sich auch Dominik ganz früh auf sich selbst gestellt. Die städtische Vierklassenschule und ein Lehrerkurs in Kamyschin, den er 1916 abschloss, war die erste Station auf dem Weg zum ersehnten Lehrerberuf. Schon mit siebzehn begann seine Lehrtätigkeit – zuerst in der deutschen Kirchenschule in seiner Heimatstadt, später in Rothammel, Erlenbach und Marienfeld. Als in Engels 1928 die Deutsche Pädagogische Hochschule eröffnet wurde, war Hollmann bereits Oberhaupt einer sechsköpfigen Familie – ein Direktstudium kam vorerst nicht in Frage. Nach zwei Jahren Fernstudium an der Moskauer Staatsuniversität, setzte er 1932-1935 seine Ausbildung an der Deutschen Pädagogischen Hochschule in Engels fort. Danach war er sechs Jahre Dozent und Dekan des Fachbereichs für deutsche Sprache und Literatur an derselben Hochschule.

D. Hollmann mit Schriftstellerkollegen (c) Privatarchiv von R. Bender

Bereits während des Studiums und in der Folgezeit trat Hollmann als Autor, Übersetzer, Nachdichter und Lehrbuchverfasser hervor. Seit 1923 schrieb der junge Dorflehrer Berichte für die Zeitung „Nachrichten“, bald auch Kurzgeschichten über das Dorfleben. In den 1930er Jahren veröffentlichte er Gedichte, Kurzerzählungen und Kritiken in der deutschen Presse. Hollmann verfasste außerdem Lehrbücher der deutschen Grammatik für Schulen, stellte ein Lesebuch für Erwachsene zusammen, machte zahlreiche Übersetzungen aus dem Russischen für den Deutschen Staatsverlag und wirkte aktiv im Schriftstellerverband der ASSR der Wolgadeutschen mit. 1940 wurde er in den Schriftstellerverband der UdSSR aufgenommen. „„Meine Herzenswunde blutet …““ weiterlesen

Teilnahmsvolle Beteiligung

Vor Kurzem las ich in einem Text, jemand hätte sich „am Winterkrieg beteiligt“, und wieder einmal stellte ich mir die Frage, ob es gerechtfertigt ist, das über einen einfachen Soldaten zu sagen. Ich denke, nein, denn eine Beteiligung ist zwar auch laut Duden das „Teilnehmen“, aber gleichzeitig eine „Mitwirkung“, und genau das ist meines Erachtens der springende Punkt. Der Unterschied besteht im Grad der Aktivität. Die Soldaten haben in der Regel nur am Krieg teilgenommen, während die Kriegsbeteiligten diejenigen Mächte waren, die sich jeweils feindlich gegenüberstanden.

Betrachtet man das Ganze von einer friedlicheren Perspektive aus, so sind die Teilnehmer einer Veranstaltung durchaus auch im Publikum zu finden, während die Beteiligten die Mitwirkenden und die Organisatoren sind. Deshalb können Teilnehmer durchaus auch einmal „unbeteiligt“ dreinschauen. „Teilnahmsvolle Beteiligung“ weiterlesen

Vorsicht vor falschen Freunden!

Diese Warnung, die man Kindern bereits beim Eintritt ins Kindergarten- oder spätestens ins Schulalter mit auf den Weg gibt, verliert für einen Übersetzer auch im späteren Leben nicht an Brisanz, obwohl  sie dann eine gänzlich andere Bedeutung hat.

Mit dem Begriff „falsche Freunde“ werden in der Sprachwissenschaft nämlich Worte bezeichnet, die es in einem bestimmten Sprachenpaar (für unsere Zwecke also Russisch-Deutsch) in beiden Sprachen gibt, die sich aber in ihrer Bedeutung, Grammatik, Rechtschreibung oder stilistischen Verwendung unterscheiden. Klassische Beispiele dafür sind die russischen Wörter „aкадемик“ und „институт“, die hier bereits an anderer Stelle thematisiert wurden.

Zum Problem der falschen Freunde wurden inzwischen komplette Wörterbücher herausgegeben und viele linguistische Abhandlungen geschrieben, die jeweils den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden. Dennoch möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, dazu aufrufen, bevor Sie ein Wort im Deutschen verwenden, das Ihnen aus dem Russischen bekannt ist, genau darüber nachzudenken (oder nachzuschlagen), ob die Bedeutung identisch ist. Erinnern Sie sich nur einmal daran, welch unterschiedliche Erscheinungen durch „конкурс“ (ein Wettbewerb oder eine Ausschreibung) und „Konkurs“ (ein Bankrott) bezeichnet werden! „Vorsicht vor falschen Freunden!“ weiterlesen

Der Tragödie zweiter Teil

Der Titel lässt es erahnen, liebe Leserinnen und Leser, es ist noch nicht vorbei! Das Thema des letzten Beitrags ist noch nicht vollständig abgehandelt. Alles, was ich dort zu Namen von Personen gesagt hatte, bezieht sich nämlich ebenso auf andere Eigennamen und Bezeichnungen (unter anderem in der Welt des Theaters, doch dazu später mehr).

So werden beispielsweise Ortsnamen im weitesten Sinne, sogenannte Toponyme, ebenfalls in der Regel nicht übersetzt, aber sehr wohl an die Zielkultur angepasst. Auch hierfür sollte maßgeblich sein, welche Form die im entsprechenden Sprachraum verwendete ist. Natürlich kann man New York bei einer Übersetzung aus dem Russischen nicht einfach als „Nju-Jork“ transkribieren. Das italienische „Milano“ ist Muttersprachlern des Russischen in Anlehnung an die lombardische Bezeichnung als „Милан“ bekannt, auf Deutsch muss es jedoch „Mailand“ heißen.

Grundsätzlich ist auch in diesem Bereich zu beobachten, dass sich das Russische wesentlich häufiger einer phonetischen Umschrift des Originalnamens bedient, während das Deutsche oft eigene Bezeichnungen verwendet. So ist für die polnische Hauptstadt der Name „Warschau“ deutschen Muttersprachlern wesentlich vertrauter als „Warszawa“, weshalb hier eine reine Anpassung der Schreibweise bei der Übersetzung aus dem Russischen ebenfalls nicht zielführend wäre. „Der Tragödie zweiter Teil“ weiterlesen