Ein historischer falscher Freund


Von den sogenannten falschen Freunden des Übersetzers war an dieser Stelle schon öfter die Rede und auch davon, dass selbst Fremdwörtern, die so klingen, als müsste es sie in beiden Sprachen geben, bei Weitem nicht immer zu trauen ist. Dennoch taucht eines von ihnen nach meiner Erfahrung besonders häufig auf, wenn es um historische Texte, Memoiren und (Auto-)Biografien geht, in denen die Sowjetunion in der Stalinzeit eine Rolle spielt. Gemeint ist das offensichtlich als solches wahrgenommene Partizip II „repressiert“. Immer wieder liest man, dass jemand „repressiert“ worden sei. Eingeweihte wissen natürlich, dass es sich bei diesem Wort um eine Entlehnung des russischen „репрессирован(ный)“ handelt. Das Problem im Deutschen besteht nun allerdings darin, dass es das Verb „repressieren“ nicht gibt und somit von diesem auch kein Partizip gebildet werden kann.
Will man die russische Erscheinung also ins Deutsche übersetzen, kommt man nicht umhin, sich mit einer Substantivkonstruktion zu behelfen, die allerdings ihrerseits auch einen Fallstrick bereithält. Während es nämlich im Russischen nur das Substantiv „репрессия“ gibt, stehen diesem im Deutschen zwei Fremdwörter gegenüber: „Repression“ und „Repressalie“.

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Die Negation der Negation


Von der Notwendigkeit eines Perspektivwechsels beim Übersetzen war an dieser Stelle schon häufiger die Rede, davon, dass ein „nicht“ jedoch nicht immer in der anderen Sprache auch „nicht“ bedeutet, jedoch noch nicht. Dies bitte ich jedoch unbedingt nur grammatisch aufzufassen und nicht etwa in Zusammenhang mit derzeit aktuellen Diskussionen zu bringen.
Mir geht es – wie immer in diesem Blog – um die rein sprachliche Seite, und bei dieser stoßen deutsche Muttersprachler schon an die ersten Grenzen, wenn sie im Russischunterricht lernen, dass Negativpronomen und Negationspartikeln, die mit „ни-“ beginnen, auch noch die Negation des Verbs erfordern. Das ist zunächst sehr gewöhnungsbedürftig, weil man ja schließlich im Deutschunterricht gelernt hat, dass eine doppelte Verneinung eine Bestätigung bedeutet.

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Buchtipp: Roman „Die Stille bei Neu-Landau“ von Katharina Martin-Virolainen

Salat „Olivier“ zu Feiertagen, russische Musik im Auto oder Vaters geliebte Jogginghose-Kollektion: All das hätte Julia als Kind am liebsten aus ihrem Leben verbannt. Die krampfhaften Versuche, ihre Eltern „umzuerziehen“, sind immer wieder kläglich gescheitert. Trotz ihrer Anstrengungen, sich bestmöglich anzupassen, stellte Julia immer wieder fest, dass sie und ihre Familie anders sind – und es immer bleiben werden. Im Erwachsenenalter gerät Julia erneut in eine Identitätskrise und beschließt, für eine Weile zu ihren Eltern aufs Land zu ziehen. Unter den alten Sachen ihrer bereits verstorbenen Großmutter stößt sie auf einen leeren Umschlag, der Fragen zu ihrer Familiengeschichte aufwirft. Julia wendet sich an ihre Großtante Margarethe und stellt plötzlich fest, dass sie so gut wie nichts über das dornenreiche Leben ihrer Großmutter weiß. „Die Alten reden nicht, die Jungen hören nicht zu“ – der auf dieser Aussage basierende Generationenkonflikt dauert in vielen russlanddeutschen Familien seit Jahrzehnten an. Der Roman „Die Stille bei Neu-Landau“ möchte dazu beitragen, diese unsichtbare Mauer zwischen den Generationen zu durchbrechen und beide Seiten einander näher zu bringen.

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Unterhaltung, unterhalten, Unterhalt …

Udo Jürgens‘ Bonmot, dass „Unterhaltung“ vor allem mit „Haltung“ zu tun habe, ist inzwischen weithin bekannt. Wie sieht es aber mit den anderen Wörtern aus, die so ähnlich klingen und eindeutig denselben Stamm aufweisen? Kann es da nicht mitunter zu Missverständnissen kommen?
Beim Verb „unterhalten“ ist klar, dass es durchaus mehrere Bedeutungen haben kann, allerdings werden davon zwei Substantive gebildet, die jeweils sowohl eine exklusive Bedeutung haben, sich aber auch semantisch überschneiden können: „Unterhaltung“ und „Unterhalt“.


So unterscheiden sich die Bedeutungen, die der Duden jeweils als erste angibt, erheblich voneinander. Bei der Unterhaltung ist es klar, dass es um Vergnügungen vielerlei Art geht, wohingegen beim Unterhalt der Lebensunterhalt im Vordergrund steht, dicht gefolgt von den Unterhaltszahlungen.

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Wenn Nachrichten ins Leere laufen

Geht es Ihnen auch manchmal so, dass Sie sich am Ende einer Nachricht um ihren eigentlichen Ausgang betrogen fühlen? Was hier so hart klingt, wird häufig durch ein einziges Wort verursacht. Dieses Wörtchen kann eigentlich gar nichts dafür, dass man hinterher nicht schlauer ist als vorher. Das Problem ist nämlich nicht das Wort selbst, sondern die Tatsache, dass es in letzter Zeit in Videotext & Co. geradezu inflationär verwendet wird. Gemeint ist das Wort „zunächst“.


Für das Adverb „zunächst“ (die gleichlautende, aber wesentlich seltener gebrauchte Präposition wird hier außer Acht gelassen, weil sie für dieses Problem nicht relevant ist) bietet allein schon der Duden eindeutige Synonyme: „anfänglich, anfangs, eingangs, vorerst, einstweilen“.

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Buchtipp: „70 TEUFLISCHE DETAILS“ von Carola Jürchott

Tipps zum Umschiffen sprachlicher Klippen auf dem Weg vom Russischen ins Deutsche

Der Druckfehlerteufel – wer kennt ihn nicht? Er ist der ständige Begleiter von Autorinnen und Autoren, Übersetzerinnen und Übersetzern, Lektorinnen und Lektoren und natürlich Korrektorinnen und Korrektoren. Gehört man einer dieser Zünfte an, fürchtet man jeglichen Schnitzer wie der Teufel das Weihwasser. Doch nicht nur die Druckfehler machen uns zu schaffen, auch grammatische, lexikalische und sonstige Fehler können uns sozusagen in Teufels Küche bringen. Ohne den Teufel an die Wand zu malen, kann man konstatieren, dass das Wohl und Wehe eines guten Textes auch davon abhängt, ob er korrekt und stilsicher formuliert ist. Hierbei steckt natürlich, wie so oft, der Teufel im Detail. Das vorliegende Buch soll allen, die mit Texten zu tun haben, kleine Hilfestellungen geben, um 70 dieser Klippen zu umschiffen, denn dann müsste es mit dem Teufel zugehen, wenn nicht auch aus dem besten Text ein noch besserer werden könnte. Ein absolutetes Muss für jede(n), die/der nicht in Fettnäpfchen treten möchte.

70 TEUFLISCHE DETAILS von Carola Jürchott. Tipps zum Umschiffen sprachlicher Klippen auf dem Weg vom Russischen ins Deutsche

ISBN 978-3-947270-12-5, Softcover, 144 S., Preis: 11,- EUR

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Rund ist die Welt

Von Perspektivwechseln beim Übersetzen war an dieser Stelle schon des Öfteren die Rede, sodass erfahrene Leserinnen und Leser unseres Blogs natürlich wissen, dass man mit dem wörtlichen Übersetzen mitunter nicht weit kommt, sondern sich in die Sichtweise der Zielkultur hineindenken muss. Genau das ist auch nötig, möchte man im Deutschen darstellen, dass etwas im ganzen Land oder auf der ganzen Welt stattfindet bzw. sich Menschen von überallher irgendwo treffen.


Im Russischen werden dafür gern Formulierungen verwendet wie „со всех концов страны“ oder „во всех уголках планеты“. Natürlich ist es mir in meiner Praxis auch schon untergekommen, dass in Texten versucht wurde, diese Formulierungen im Deutschen unhinterfragt zu übernehmen, doch spätestens, wenn man liest, etwas ereigne sich „in allen Ecken des Planeten“, stellt sich beim deutschen Leser die Überlegung ein, dass die Erde rund ist und es deshalb schwierig werden dürfte, bei unserem Planeten Ecken zu finden. Dass eine Kugel keinen Anfang und kein Ende hat, führt auch zu der Erkenntnis, dass Menschen nicht „aus allen Enden der Welt“ kommen können. Um wie viel schöner klingen doch da Wendungen wie „aus aller Herren Länder“, „von nah und fern“ oder einfach „aus aller Welt“.

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Warum Urheberrechte nicht nur Autorenrechte sind

Keine Angst, liebe Leserinnen und Leser, dieser Blog soll nicht mit einer Rechtsberatung ins neue Jahr starten, es geht weiterhin um sprachliche Feinheiten und den Teufel, der auch hierbei wieder im Detail steckt.In Texten, die aus dem Russischen übersetzt wurden, liest man häufig den Begriff der „Autorenrechte“, mit denen jedoch in Wirklichkeit die „Urheberrechte“ gemeint sind. Diese sind im deutschen „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ (Urheberrechtsgesetz) geregelt, und im § 7 ist eindeutig definiert, was ein Urheber ist: „Urheber ist der Schöpfer des Werkes.“ Für denjenigen, der im russischen Sprachraum zu Hause ist, ist völlig klar, wer damit gemeint ist: der „автор“.

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„Ein ganzer Mann“ von Melitta L. Roth (Leseprobe)

Kurzgeschichte aus dem Buch „Gesammelte Scherben“

–  Ach komm, nur ein Schlückchen!

–  Nur ein kleines Gläschen, das schadet doch nicht. Wodka tötet alle Bakterien, das weiß man doch!

–  Auf unsere Freundschaft.

–  Auf deine Frau.

–  Auf alle unsere Frauen. Was für Schönheiten ihr doch seid!

–  Auf uns!

–  Auf die Gesundheit. Was, du willst noch nicht mal auf meine Gesundheit trinken, das nehme ich dir übel, mein Freund, sehr übel.

Wenn du in Russland oder auch in Sibirien – oder im fernen Osten wie Kolyma oder Kamtschatka – als Frau ein Gläschen ablehnst, wird es nach einigen nervigen Frageattacken irgendwann akzeptiert. Als Mann hast du keine Chance. Du wirst so lange überredet, dass es fast an Nötigung grenzt. Das hat sich in den letzten Jahren möglicherweise geändert, seit die Gesetze strenger geworden sind und es ab 23 Uhr nichts Hochprozentiges mehr zu kaufen gibt und jetzt sogar Bier per Gesetz zu einem alkoholischen Getränk erklärt worden ist. Doch vor über als vierzig Jahren standest du hinter dem Eisernen Vorhang als ein abstinenter Mann auf verlorenem Posten.

Damals befand sich Otto Adolfowitsch Reimer in der Blüte seiner Jahre. Er arbeitete als Ingenieur in einem Chemiewerk einer größeren sibirischen Stadt, war verheiratet. Und trank nicht. Auch später nicht. Genau genommen rühmte er sich, bis zu seinem 53. Lebensjahr keinen Tropfen angerührt zu haben. Nicht bei seiner eigenen Hochzeit, nicht bei Beerdigungen, und noch nicht einmal, um die Geburt seiner beiden Töchter zu begießen. Er blieb im Land des personifizierten Wodka-Klischees stets abstinent, und das will schon was heißen.

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„Fremd unter seinesgleichen“ – Interview mit Artur Böpple

Seit 25 Jahren gibt der Literaturkreis der Deutschen aus Russland seine „Literaturblätter“ heraus

Interview mit dem Vorsitzenden des Literaturkreises der Deutschen aus Russland, Artur Böpple

Fremd unter seinesgleichen“ (ostbooks Verlag) lautet das Motto des Almanachs 2020, einer Anthologie, die zahlreiche russlanddeutsche AutorInnen generationenübergreifend mit Prosa, Lyrik und biografischen Texten, in Interviews und Rezensionen präsentiert. Die Inhalte der diesjährigen „Literaturblätter der Deutschen aus Russland“ werden durch Bilder und Grafiken von Irina Enns, Igor Galochkin und Lydia Galochkina pointiert betont. Als Herausgeber zeichnen Artur Böpple, das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) und der Literaturkreis der Deutschen aus Russland, der vor 25 Jahren von 14 LiteratInnen aus der ehemaligen Sowjetunion gegründet wurde. 2014 wurde das Engagement des Literaturkreises im Bereich der literarischen Vermittlung russlanddeutscher Kultur und Erfahrung und insbesondere auch für seine Arbeit mit jungen Autorinnen und Autoren mit dem Förderpreis des Russlanddeutschen Kulturpreises des Landes Baden-Württemberg gewürdigt. Die aktuelle Anthologie ist der russlanddeutschen Schriftstellerin Nora Pfeffer gewidmet, die sich von Beginn an im Literaturkreis engagiert und maßgeblich bei der Entstehung der ersten Literaturblätter der Deutschen aus Russland mitgewirkt hat.

Das Motto „Fremd unter seinesgleichen“ wurde nicht zufällig gewählt. Deutschen aus Russland sind Heimatverlust, Entwurzelung und Fremdsein, aber auch Neuverwurzelung und Beheimatung seit Generationen bekannt. Auch Nora Pfeffer musste all diese Erfahrungen, teils auf tragische Weise, durchleben. VadW-Redakteurin Nina Paulsen sprach mit dem Autor und Verleger Artur Böpple, derzeit Vorsitzender des Literaturkreises der Deutschen aus Russland und Mitarbeiter des BKDR, über den Literaturkreis und dessen Almanach sowie die Situation, in der sich die russlanddeutsche Literatur gegenwärtig befindet.

Artur, der Almanach 2020 ist fast auf den Tag genau zum 25. Gründungstag des Literaturkreises der Deutschen aus Russland erschienen. Wenn du auf diese 25 Jahre zurückblickst und kurz zusammenfasst: Welche Bedeutung hat der Literaturkreis für die Entwicklung der russlanddeutschen Literatur von Mitte der 1990er Jahre bis heute? Und wie hat sich der Almanach als Jahrbuch des Literaturkreises inzwischen verändert?

Zunächst muss ich klarstellen, dass ich persönlich leider nicht unmittelbar auf alle 25 Jahre zurückblicken kann, denn ich gehöre erst seit etwa 2010 dem Literaturkreis an und bin seit 2012 in der Redaktion aktiv. Dennoch denke ich, dass ich die Bedeutung und den Einfluss des Literaturkreises auf unsere Literaturszene – sei es anhand von geschriebenen Texten oder von ausgewählten Autorenbiografien – beurteilen kann, wenn auch nur subjektiv und eher exemplarisch. Hauptanliegen des Literaturkreises war ja und ist, unsere Autorinnen und Autoren möglichst zügig in die bundesdeutsche Literaturszene zu integrieren – das ist ein fester Bestandteil unserer Satzung! – , damit wir dort auf verschiedenen Ebenen agieren und von uns bzw. von unserem Schicksal als Bevölkerungsgruppe auf einem professionellen Niveau zu erzählen imstande sind, kurzum, damit wir hierzulande überhaupt wahr-, ernstgenommen und gehört werden.

Ich denke, um den Einfluss des Literaturkreises auf einzelne Autorenbiografien anschaulich zu machen, schildere ich kurz meine persönlichen Erfahrungen als Autor seit dem Zeitpunkt, als ich dem Literaturkreis beigetreten bin. Erst dank der jährlichen Seminare und des darauffolgenden Austausches untereinander verspürte ich in mir den Impuls, Lyrik zu schreiben, und gewann das nötige Selbstvertrauen, eigene Prosa öffentlich vorzutragen. Regelmäßige Lesungen, Vernetzung durch die Publikationen im Jahrbuch und Feedbacks der Kolleginnen und Kollegen taten meinem Wachstum als Autor gut und wirkten sich positiv auf die Motivation aus, die man beim Anpacken von größeren Schreibprojekten braucht. Bald stellten sich die ersten Erfolge ein, Publikationen in diversen Anthologien und teils bekannten deutschen und österreichischen Literaturzeitschriften folgten. Hier und da glückte es mir auch, Wettbewerbe zu gewinnen, wie zum Beispiel den Leverkusener Short-Story-Preis 2015.

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