Es irrt der Mensch, solang er strebt

Dieses berühmte Zitat aus dem „Prolog im Himmel“, der den ersten Teil von Goethes „Faust“ einleitet, ist sicher den meisten bekannt, und so bietet es auch den perfekten Einstieg in das Thema dieses Beitrags. Häufig stoße ich nämlich beim Lektorieren von Texten auf Formulierungen, in denen die Begriffe „Streben“ und „Bestreben“ verwechselt werden, weil sie für komplette Synonyme gehalten werden, was jedoch im Deutschen nicht der Fall ist.

So kann es durchaus Bestrebungen geben, diese Bedeutungen zu vereinheitlichen, danach zu streben wäre jedoch sicher zu viel des Guten. Auch hier steckt, wie so häufig, der Teufel im Detail. Während das Streben darauf ausgerichtet ist, ein großes und ganzheitliches Ziel zu erreichen (das Streben nach Macht, das Streben nach Geld oder, wie im Falle Fausts, das Streben nach Erkenntnis), können Bestrebungen auch auf kleinere oder Etappenziele gerichtet sein.

Das Streben ist mit einem hohen Maß an Aufwand und Anstrengung verbunden. Nicht umsonst unterstellt man einem Streber implizit, er würde Tag und Nacht an nichts anderes als an die Schule denken. Das Bestreben hingegen ist einfach der Ausdruck einer Absicht oder eines Ziels.
So findet man bei der Begriffsdefinition im Duden auch beim „Streben“ Attribute wie „energisch, zielbewusst, unbeirrt“ und die Erklärung „mit aller Kraft […] danach trachten, etwas Bestimmtes zu erreichen“, während das Bestreben lediglich dem Bemühen ohne eine weitere Verstärkung gleichgesetzt wird.

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Fremdwörter sind Glückssache

„Wenn Sie ein Wort nicht kennen, latinisieren Sie!“

Dieser Rat, der uns im Studium im Dolmetschunterricht vermittelt wurde, mag einen beim Simultandolmetschen vor peinlichen Pausen und dem Verlust des roten Fadens bewahren, in der Übersetzungspraxis jedoch kann er sich häufig als fatal erweisen. Korrigiert man nämlich einen Text, der das Ergebnis dieser Maxime sein könnte, hat man häufiger den Eindruck, das in der Überschrift zitierte Bonmot könnte tatsächlich zutreffen.

Da liest man dann unter Umständen von einem „Naturmort“, das im Deutschen nicht einmal, wie im Französischen, „nature morte“ genannt wird, sondern als „Stillleben“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist, oder muss im historischen Kontext erst einmal darauf kommen, dass mit der „Arena der Kampfhandlungen“ ein „Kriegsschauplatz“ gemeint ist.

Auch wenn das Thema der falschen Freunde hier schon behandelt wurde, möchte ich heute im Zusammenhang mit den Fremdwörtern noch einmal genauer darauf eingehen. Es ist nämlich, wie die obigen Beispiele belegen, mitnichten so, dass Fremdwörter in allen Sprachen dasselbe bedeuten. „Fremdwörter sind Glückssache“ weiterlesen

Gibt es ein Heute in der Vergangenheit?

Diese Frage mag eher philosophisch als linguistisch klingen, dennoch hat sie einen ganz klaren Bezug zur Thematik dieses Blogs, nämlich der sprachlichen Gestaltung.

Immer wieder stoße ich bei der Lektoratsarbeit auf Texte, die im sogenannten historischen Präsens geschrieben wurden, d. h. eine Handlung in der Vergangenheit wird in der grammatischen Gegenwart erzählt. Diese Form mag einen kurzen Einschub lebendiger machen (erst recht, wenn es sich um eine direkte Rede handelt wie zum Beispiel: „Stell dir vor, gestern gehe ich die Straße entlang, und da sehe ich doch unseren alten Schulfreund auf der anderen Seite!“), für einen kompletten Text kann ich davon nur abraten, weil das Lesen auf die Dauer recht anstrengend wird, da diese Form im Deutschen wenig verbreitet ist. „Gibt es ein Heute in der Vergangenheit?“ weiterlesen

Plädoyer für alte Kommas

Zugegeben, wollte ich der Absicht dieses Beitrags durchgängig treu bleiben, müsste es in der Überschrift auch „Kommata“ statt „Kommas“ heißen. Da diese Pluralform aber kaum noch jemand kennt, habe ich darauf an dieser Stelle verzichtet. Allerdings kann und will ich nicht verleugnen, dass ich der Generation entstamme, die noch ihre komplette Schulzeit vor der letzten Rechtschreibreform und selbst vor Beginn der Diskussion darüber absolviert hat. So war bei uns das ß noch weit mehr verbreitet, und auch für Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung und einiges mehr galten andere (und mitunter striktere) Regeln als heute. Auch wenn ich mich mittlerweile an vieles davon gewöhnt habe und bei Schreibweisen wie „Schloß“ und „Fluß“ stutze, gibt es einen Bereich, in dem ich mich nach wie vor an alle alten Regeln halte, die zum Glück zumindest als Alternativvariante noch erlaubt sind. Die Rede ist von der Kommasetzung. So finde ich eine Satzverbindung wesentlich übersichtlicher, wenn vor „und“ und „oder“ ein Komma steht, auch wenn dadurch zwei Hauptsätze miteinander verbunden sind. Unter Umständen kann das auch helfen, einen kommenden Teilsatz von einer Aufzählung o. Ä. zu unterscheiden. „Plädoyer für alte Kommas“ weiterlesen

AKÜFI in Ost und West

Wer ist nicht schon einmal fast daran verzweifelt, eine ihm unbekannte Abkürzung zu entschlüsseln? Bei mir hat es zum Beispiel einige Zeit gedauert, bis ich herausfand, dass sich hinter dem rätselhaften Namen Гиредмет für die Einrichtung, der das Ferienlager bei Moskau gehörte, in dem ich dreimal einen Teil meiner Sommerferien verbrachte, das Staatliche Forschungsinstitut für seltene Metalle verbarg. Seine komplette russische Bezeichnung ist noch länger: Государственный научно-исследовательский и проектный институт редкометаллической промышленности.

In einem Buch, das ich kürzlich las, geriet der Autor bereits bei der Dechiffrierung des überaus bekannten Komsomol auf Abwege. Während er zwar noch die deutsche Erklärung abgab, es handele sich dabei um den Kommunistischen Jugendverband, lautete seine ausgeschriebene russische Version: „Komitet Sozialistitscheskych Molodesch“. Es ist also offensichtlich gar nicht so einfach, von der Abkürzung auf die richtige vollständige Version zu schließen.

Doch der AKÜFI, wie in meiner Schulzeit der „Abkürzungsfimmel“ scherzhaft genannt wurde, ist kein Spezifikum der russischen Sprache. „AKÜFI in Ost und West“ weiterlesen

Gegensätze zieh‘n sich an …

Obwohl diese Zeile einerseits ein bekanntes Sprichwort darstellt, andererseits auch den Anfang eines Schlagers bildet, stelle ich im täglichen Sprachgebrauch immer wieder fest, dass es mit den Gegensätzen selbst sprachlich nicht ganz so einfach ist. Natürlich haben die meisten von uns irgendwann einmal gelernt, was man unter einem Antonym versteht und könnten die entsprechenden Wortpaare vermutlich im Schlaf herbeten: Liebe – Hass, hell – dunkel, einpacken – auspacken.

Die Schwierigkeit besteht aber nicht in der Anwendung der Antonyme, sondern in ihrer Benennung, genauer gesagt, in der Unterscheidung zwischen „Gegensatz“ und „Gegenteil“. Während der Gegensatz, wie es schon die Überschrift erahnen lässt, eher eine fast schon philosophische Definition erfordert (in diesem Bereich gibt es dann sogar die antagonistischen Gegensätze und Ähnliches), ist das Gegenteil immer etwas sehr Konkretes, gewissermaßen ein Pendant mit negativem Vorzeichen, das Yin zum Yang.

Sicher wäre es zu viel verlangt, wollte man für jeden Satz, in dem sprachliche oder semantische Gegensätze vorkommen, erst philosophische Fragen klären. Dennoch gibt es feststehende Wendungen, in denen „Gegenteil“ und „Gegensatz“ nicht austauschbar sind. So steht das Gegenteil meist allein, während auf den Gegensatz häufig eine Präposition oder ein Adverb folgt:

Sie wollte an diesem Abend nicht tanzen gehen. Im Gegenteil: Sie wollte lieber lesen.

Er war ein begnadeter Tänzer, doch sie war das ganze Gegenteil von ihm.

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Lehren ziehen leicht gemacht

Mit dem Lernen ist es so eine Sache. Manchmal ist es einfacher, es zu tun als darüber zu sprechen. Noch heute muss ich schmunzeln, wenn ich an das entsetzte Gesicht meiner Mutter angesichts einer Formulierung denke, die zu meinen Kindergartenzeiten in Berlin unter meinen Altersgenossen gang und gäbe war, wenn der eine etwas konnte, das der andere noch nicht beherrschte: „Lernste mir das?“

Natürlich folgten auf Äußerungen dieser Art lange elterliche Erklärungen, dass man zwar selbst etwas lernen, einem anderen aber nur etwas beibringen oder es ihn lehren könne. Dabei stand damals auch völlig außer Zweifel, dass „lehren“ mit dem Akkusativ verwendet wurde, „beibringen“ hingegen mit dem Dativ. Mehr oder weniger bekannte Songtitel wie „Denn sie lehren die Kinder …“ unterstützten diesen Lernprozess durchaus.

Nach dieser Vorgeschichte können Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich sicher mein Entsetzen vorstellen, als vor Kurzem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in einer Quizshow eine Antwortmöglichkeit lautete, Konrad Duden habe eine Wette gewonnen, weil er „einem Kleinkind das Lesen lehrte“. Abgesehen davon, dass die richtige Antwort eine andere war, kam mir diese Variante jedoch doppelt falsch vor. Für mich war völlig klar, dass der Altmeister der deutschen Rechtschreibung, entweder „das Kind das Lesen gelehrt“ oder „dem Kind das Lesen beigebracht“ haben musste, wenn es denn tatsächlich so gewesen sein sollte. „Lehren ziehen leicht gemacht“ weiterlesen

Nur so eingestreut

Wenn jemand die Regeln der Kommasetzung nicht beherrscht, behauptet eine Freundin von mir gern, er setze die Kommas mit der Streusandbüchse. Das Ergebnis dieses so bildhaft beschriebenen Vorgangs hat man sofort vor Augen: Es ist auf jeden Fall ungeordnet über eine bestimmte Fläche verteilt.

Schwieriger wird die Sache offensichtlich, wenn es nicht um Satzzeichen, sondern beispielsweise um Menschen geht. So lese ich bei meiner Korrektoratsarbeit immer wieder die Aussage, die Russlanddeutschen seien „im ganzen Land zerstreut“ worden.

Diese Formulierung kann zumindest einige Frage aufwerfen, da deutsche Muttersprachler mit dem Verb „zerstreuen“ oder gar „zerstreut sein“ in erster Linie etwas anderes assoziieren. Die Vorsilbe „zer-“ deutet nämlich auf einen Prozess hin, der von innen heraus verläuft. So kann sich durchaus eine Menschenmenge zerstreuen oder, wenn es sein muss, kann laut Duden auch die Polizei die Menschenmenge zerstreuen, obwohl ich da das Verb „auflösen“ passender fände.

Noch schwieriger ist es mit dem Partizip „zerstreut“, denn dieses ist geradezu dazu prädestiniert, mit dem gleichlautenden Adjektiv verwechselt zu werden. Wer würde dabei nicht an den russischen Kinderreim denken: „Вот какой рассеянный с улицы Бассейной …“ „Nur so eingestreut“ weiterlesen

Koste es, was es wolle!

„Das kostet mich ein müdes Lächeln!“ Diesen Satz hat wohl jeder schon einmal gehört oder selbst gesagt, und daran gibt es auch nichts zu deuteln. Auch ich habe ihn noch nie anders gehört, doch das ist beileibe nicht selbstverständlich. Vielleicht liegt es daran, dass sich diese Redewendung sozusagen als idiomatische ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat.

Eine bekannte und sehr empfehlenswerte Buchreihe mit Sprachtipps heißt „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Dieselbe „Gefährdungslage“ kann man in diesem Fall jedoch auch für den Akkusativ konstatieren. So höre ich immer wieder Sätze wie „Das kostet dir doch nichts!“ Die gängigen Medien bilden dabei keine Ausnahme.

 Zu meinem großen Erstaunen musste ich nun feststellen, dass diese Variante sogar Duden-konform ist. Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Duden inzwischen wesentlich eher eine deskriptive als eine präskriptive Funktion hat. Er beschreibt den aktuellen Zustand der Sprache, ohne Varianten, die sich „eingebürgert haben“, in Bausch und Bogen zu verdammen. Allerdings ist dieser Dativ nichts Neues, sondern stand auch schon vor mehr als 80 Jahren im damals aktuellen Duden. „Koste es, was es wolle!“ weiterlesen

Gedanken zur trüberen Jahreszeit

Allerheiligen ist vorbei, und der Volkstrauertag und Totensonntag stehen noch bevor. Lange habe ich überlegt, wann der richtige Zeitpunkt ist, um das Thema anzusprechen, das in diesem Beitrag behandelt werden soll. Da diese Jahreszeit ohnehin die „trübe“ genannt wird, passt sie wohl am besten dazu, denn ich finde, gesagt werden sollte es.

Immer wieder lese ich in biografischen Angaben, die aus dem Russischen übersetzt wurden oder einen russischsprachigen Hintergrund haben, jemand sei „aus dem Leben geschieden“, und jedes Mal frage ich mich an dieser Stelle, ob demjenigen, der diese Passage geschrieben oder übersetzt hat, überhaupt bewusst war, was er da schreibt.

Entgegen allen Annahmen ist „aus dem Leben scheiden“ nämlich keine adäquate Übersetzung des im Russischen so gebräuchlichen „ушел из жизни“, das völlig neutral den Fakt des Dahinscheidens als solchen ausdrückt. Im Deutschen kommt bei „aus dem Leben scheiden“ eine entscheidende Konnotation hinzu, die besonders deutlich wird, wenn man diese Redewendung einmal googelt. Dann findet man nämlich in der Mehrzahl Formulierungen, die noch ein weiteres, wesentliches Adverb aufweisen, und zwar „freiwillig“, „selbstbestimmt“ oder Ähnliches. „Gedanken zur trüberen Jahreszeit“ weiterlesen