Von Nudeln, Bären und Verstauchungen

Kann man im Deutschen eigentlich jemandem Nudeln über die Ohren hängen? Diese Frage haben mir schon öfter russischsprachige Freunde gestellt, die des Deutschen nicht mächtig sind und bei dem Versuch gescheitert waren, einem Ausländer den Sinn dieser Redewendung deutlich zu machen. Sie, liebe Leser, wissen es: Natürlich kann man es nicht, denn Redewendungen lassen sich nun einmal in den meisten Fällen nicht wörtlich in eine andere Sprache übersetzen.
Im Deutschen kann man in eben jener Bedeutung, wenn man denn bei der Nudel bleiben möchte, jemanden auf die Nudel schieben. Diese Redewendung ist nach meiner Erfahrung jedoch nicht mehr allzu stark verbreitet und wird wohl eher regional von der älteren Generation verwendet und von der mittleren immerhin noch verstanden.

Ansonsten wird hier häufiger Meister Petz bemüht, denn jemandem einen Bären aufzubinden ist keineswegs aus der Mode gekommen. Auch in anderen Zusammenhängen bemüht man bei uns den braunen Waldbewohner. So kann man beispielsweise auf der Bärenhaut liegen, während man Däumchen dreht (hierbei handelt es sich de facto um Synonyme). „Von Nudeln, Bären und Verstauchungen“ weiterlesen

Sprichwörtliche Zeitgenossen (1)

Sicher haben Sie, liebe Leser, schon einmal den Begriff „Bedrohte Wörter“ gehört oder gelesen. In der Sprachwissenschaft gelten diese als „archaisch“, im Duden findet man dahinter den Zusatz „veraltet“ oder, wenn dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, „veraltend“. Dennoch sollte man als Autor meines Erachtens diese Wörter nicht von vornherein ad acta legen. Sie können uns immer noch sehr dabei helfen, die eigene Ausdrucksweise vielfältiger zu gestalten und möglicherweise auch fiktive Figuren durch ihren Sprachgebrauch genauer zu charakterisieren.

Manch einer dieser Begriffe kann auch schon dadurch hilfreich sein, dass er einem russischen so nahe kommt, dass man ihn trotz der etwas angestaubten Anmutung immer noch gut als deutsche Entsprechung dafür verwenden kann. Wie umständlich müsste man schließlich den „мастер на все руки“ umschreiben, wenn es den deutschen „Tausendsassa“ nicht gäbe?!

Aus diesem Grund möchte ich Ihnen hier in loser Folge, thematisch geordnet, immer wieder einmal Wörter vorstellen, „Sprichwörtliche Zeitgenossen (1)“ weiterlesen

Wer hat wo studiert?

Immer wieder lese ich in Lebensläufen und Kurzbiografien, jemand habe in der ehemaligen Sowjetunion am „Pädagogischen Institut“ oder einer ähnlichen Einrichtung studiert. Bei Lesern in Deutschland kann das unter Umständen zu Verwirrung führen, denn der Institutsbegriff wird hier etwas anders gehandhabt. So ist ein Institut in der Regel ein Teil einer Hochschule oder einer Universität bzw. eine eigenständige Forschungseinrichtung. An der Humboldt-Universität zu Berlin gibt es beispielsweise das Institut für Slawistik, das Institut für Theoretische Biologie etc. Hier würde man außer der Institutsangabe jedoch immer die Bezeichnung der Universität nennen, an der man studiert hat. Eigenständige Studieneinrichtungen, die dem russischen „институт“ entsprechen, werden in Deutschland eher als Hochschule bezeichnet. Deshalb würde ich diesen Begriff in den jeweiligen Lebensläufen immer vorziehen, erst recht, weil es in Deutschland durchaus auch Pädagogische Hochschulen gibt. (Zwar gab es in der DDR auch das Institut für Lehrerbildung, jedoch war das ein feststehender Begriff für die Ausbildung von Grundschullehrern.) Der besseren Lesbarkeit halber würde ich übrigens den Städtenamen immer undekliniert ans Ende der Bezeichnung setzten, wenn es sich nicht um Universitäten handelt, die bereits einen im Deutschen etablierten Namen haben wie die Moskauer Lomonossow-Universität. „Wer hat wo studiert?“ weiterlesen

Bezüge über Bezüge

Leser, die diesen Blog regelmäßig verfolgen, mögen sich über die Überschrift wundern, denn um Bezüge ging es hier schon einmal. Da dieses Problem aber ein Dauerbrenner und – ich gebe es offen zu – auch ein ständiges Ärgernis beim Verfolgen von Berichten in Presse, Funk und Fernsehen ist, habe ich beschlossen, die prägnantesten „Ausrutscher“ zu sammeln und hier immer mal wieder zu thematisieren.

So war zum Beispiel kürzlich in einem dpa-Bericht Folgendes zu lesen: „Damit sie Früchte tragen, sollten Gärtner die Blütenstände nach dem ersten Verblühen zurückschneiden.“ Ganz ehrlich: Ich würde zu gern einmal sehen, wie es aussieht, wenn Gärtner Früchte tragen. Hier greift wieder die Regel, dass sich das „sie“ auf das ihm am nächsten stehende Substantiv derselben Person und desselben Numerus bezieht, also in diesem Fall auf die Gärtner. Natürlich könnte man einwenden, das sei nun wirklich Erbsenzählerei und ergebe sich aus dem Kontext, aber grammatisch korrekt ist es dennoch nicht. Hier wäre es sinnvoll gewesen, die Satzglieder umzustellen: „Die Gärtner sollten die Blütenstände nach dem ersten Verblühen zurückschneiden, damit sie Früchte tragen.“  Ein weit unschöneres Bild drängt sich bei einem Satz auf, der im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu hören war: „Fast dreizehn Millionen Thais haben von ihrem Monarchen Abschied genommen, aufgebahrt im Palast in Bangkok.“ „Bezüge über Bezüge“ weiterlesen

Republik und Vaterland

Keine Sorge, liebe Leserinnen und Leser, auch wenn die Überschrift diesmal recht patriotisch daherkommt, geht es hier weiterhin um sprachliche Fragen, und zwar wieder einmal um Feinheiten, denn auch ganz dünne Schlingen können sich als genau das herausstellen, was man beim Schreiben eigentlich vermeiden möchte, nämlich Fallstricke. Besonders gemeine „Fallensteller“ sind die so genannten Falschen Freunde. Damit werden in der Sprachwissenschaft Wortpaare (oder auch Wortfügungen) bezeichnet, die einander in unterschiedlichen Sprachen stark ähneln, letztlich aber doch Bedeutungsunterschiede aufweisen. Diese Differenzen können sämtliche Bedeutungen und Verwendungsweisen der betreffenden Wörter umfassen oder einzelne Teile davon. Da im Spannungsfeld zwischen dem Russischen und dem Deutschen eine Unmenge dieser Falschen Freunde lauert, werden sie uns an dieser Stelle sicher noch öfter beschäftigen.

Wie gesagt, manchmal sind es nur kleine Teile eines lexikalischen Universums, in denen sich die Fallstricke verbergen. So sind die Wörter „Republik“ und „Vaterland“ im Deutschen praktisch gleichbedeutend mit „республика“ und „отечество“ und werden auch im selben Kontext verwendet. Anders verhält es sich jedoch mit den dazugehörigen Adjektiven. „Republik und Vaterland“ weiterlesen

Das tückische s

Gehört es sich, einen eigentlich harmlosen Buchstaben als hinterlistig zu bezeichnen? Wahrscheinlich nicht, er kann ja nichts dafür. Dennoch könnte einem der Gedanke durchaus kommen, wenn man sieht, wie stark sich eine Bedeutung durch ihn in dem einen Fall verändern kann, während sie in anderen, vermeintlich gleich gelagerten, problemlos erhalten bleibt. Vor Kurzem las ich in einem Kommentar in den sozialen Medien als Reaktion auf ein Gewaltverbrechen folgenden Satz: „Mir tut erstmals die Familie des Opfers leid.“ Ich muss gestehen, dass ich erstmal zusammenzuckte, als ich das sah. Sollte jemand wirklich so gefühllos sein, dass er vorher noch nie Mitleid mit der Familie eines Opfers empfunden hatte?

Im nächsten Moment dämmerte es mir: Das s war schuld! Eigentlich hatte der Verfasser des Kommentars sicher sagen wollen, dass für ihn die Familie des Opfers im Vordergrund steht, er „erstmal Mitleid mit ihnen empfindet“!
In dieser Kombination ändert ein klitzekleines s nämlich alles. Während es bei „nochmal“ oder „nochmals“ völlig egal und eher Geschmackssache ist, ob man das s am Wortende stehen lässt, und es bei „abermals“, „ehemals“, „vormals“ und „einstmals“ gar keine andere Möglichkeit gibt, das Adverb zu bilden, sieht die Sache im Fall von „erstmal“ und „erstmals“ völlig anders aus. „Das tückische s“ weiterlesen

Wohin mit dem Verb?

Immer wieder lese ich in Texten, die mir zur Korrektur vorgelegt werden, Sätze folgender Art:
„Das hast du aber schön gemacht!“, lächelte sie.
„Ich stimme dir vollkommen zu“, nickte er.
Vielleicht fragt sich nun der eine oder andere Leser, was daran problematisch sein könnte. Formal wurden alle Regeln eingehalten, die das Deutsche für die wörtliche Rede und ihre Einleitungssätze vorsieht. Dennoch spürt man bei diesen Beispielen sofort, dass sie wörtlich aus dem Russischen übernommen wurden, denn dort ist es ja völlig normal, Formulierungen wie „улыбнулась она“ oder „кивнул он“als Stilmittel zu verwenden.

Hier ist die Bedeutung des Verbs das Entscheidende. Im Deutschen erwartet man nach (und meist auch vor) einer wörtlichen Rede ein Verb, das eine Redehandlung oder eine ähnliche Tätigkeit beschreibt: „sagte“, „rief“, „murmelte“ usw.
Deshalb wirkt es höchst ungewöhnlich, wenn sich direkt an die wörtliche Rede ein Verb anschließt, das weder unmittelbar die Art beschreibt, wie etwas gesagt wird, noch auch nur mit Lauten verbunden ist. Selbst „lachte“ kann hier durchaus verwendet werden, da es ein Geräusch beschreibt, in dessen Verlauf durchaus eine verbale Äußerung stehen kann. Ein völlig „stilles“, oder, wenn Sie so wollen, „stummes“ Verb löst beim deutschen Leser jedoch zumindest Verwunderung aus.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, diese „stummen“ Verben ein wenig hintanzustellen: „Wohin mit dem Verb?“ weiterlesen

Aus dem Nähkästchen geplaudert (2)

Im vorigen Blogeintrag habe ich bereits aus dem Nähkästchen der Übersetzer geplaudert und möchte das in dieser Woche noch ein wenig fortsetzen. Ebensolcher Aufmerksamkeit wie Realienbezeichnungen bedürfen nämlich Eigennamen und Zitate. Eigennamen wie zum Beispiel Produktbezeichnungen werden häufig nicht übersetzt, sondern einfach übernommen. So gab es in der DDR beispielsweise auch Fernseher mit den Namen „Junost“ und „Raduga“, und jeder wusste, dass die Regierungsfahrzeuge „Tschaika“ (und nicht etwa „Möwe“) hießen. Hierbei ist nur darauf zu achten, dass das grammatische Geschlecht sich unter Umständen verändern kann. So sind der Lada und der Machorka im Deutschen männlich, während die Matroschka und der Samowar ihr jeweiliges Geschlecht behalten durften. In diesen Fällen hilft einem aber meist sogar schon der Duden weiter.

Auch bei Zitaten ist es manchmal ratsam, auf Praktiken zurückzugreifen, die zum Handwerk der Übersetzer gehören. Dass es Bibelzitate in beiden Sprachen gibt, versteht sich von selbst, und deshalb sollte man sie auf keinen Fall selbst neu übersetzen. Hier muss man im Deutschen jedoch eventuell darauf achten, für wen der Text bestimmt ist, und danach die jeweils passende Bibelübersetzung auswählen. Zumindest in evangelisch geprägten Regionen ist die Luther-Übersetzung die geläufigste, während die katholische Kirche mit der Einheitsübersetzung arbeitet. „Aus dem Nähkästchen geplaudert (2)“ weiterlesen

Aus dem Nähkästchen geplaudert (1)

Können Übersetzer Korrektur lesen? Ja, und es ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Sei es nun zweisprachig, um das Vier-Augen-Prinzip zu wahren (ein Übersetzer übersetzt einen Text, ein anderer liest Korrektur) und damit für die Qualitätssicherung zu sorgen, oder einsprachig als Teil des eigenen Geschäftsmodells. So weit, so klar, und einige Autoren, die sich auf eine Sprache festgelegt haben und ausschließlich in dieser schreiben, werden sich nun vielleicht fragen: Was geht uns das an? Interessant für diesen Blog ist genau die Schnittmenge aus den beiden oben beschriebenen Tätigkeitsfeldern, wenn in einem Text in der einen Sprache Dinge und Ereignisse beschrieben werden, die zur Geschichte eines anderen Landes gehören. In diesem Fall kann ein kleiner Einblick in die Arbeitswelt eines Übersetzers meines Erachtens nicht schaden.

In den Texten russlanddeutscher Autoren, die ich zum Lesen bekomme, geht es häufig um Erfahrungen aus der Zeit der Sowjetunion. Daher liegt es in der Natur der Sache, dass darin Begriffe auftauchen, die vermeintlich einzigartig sowjetische Realia bezeichnen. Ich schreibe bewusst „vermeintlich“, denn bei dem Versuch, diese dem deutschen Leser nahezubringen, wird ein Aspekt häufig außer Acht gelassen. So las ich neulich in einem solchen Text das Wort „Pionierführerin“, das offensichtlich auf das russische „пионервожатая“ zurückging. Abgesehen davon, dass sich die deutsche Gegenwartssprache mit Wortzusammensetzungen, die den Bestandteil „-führer“ enthalten, ohnehin schwertut, war sich der Autor offensichtlich nicht der Tatsache bewusst, dass es für genau diese Begriffe „Aus dem Nähkästchen geplaudert (1)“ weiterlesen

Ein leider nicht mehr ganz kategorischer Imperativ

An das erste Mal, als ich diese Aufforderung gelesen habe, kann ich mich noch gut erinnern. Es war auf dem Display eines Kinderfahrzeugs, und dort wurden die lieben Kleinen aufgefordert: „Werfe eine Münze in den Geldschlitz!“ Im ersten Moment wusste ich nicht, welches Gefühl bei mir stärker war: Panik („Hilfe, wo ist die Lautverschiebung geblieben?“) oder Wut („Wie können die zulassen, dass Kinder so etwas Falsches lesen?“).
Zugegeben, gehört hatte ich Imperativformen dieser Art schon öfter, hatte das aber zunächst auf den mich umgebenden Berliner Dialekt und später auf die sprachliche Nachlässigkeit der jeweiligen Sprecher geschoben, die übrigens von Intellekt und Bildungsstand gänzlich unabhängig ist. Nach und nach begegneten mir derart verschandelte Verbformen immer öfter – häufig leider auch in geschriebener Form.

Bisweilen habe ich den Verdacht, dass Übernahmen aus dem Englischen eine Mitschuld an dieser Missachtung grammatischer Regeln tragen, denn gerade im Internet und auf Spielplattformen verfügbare Übersetzungen werden nicht immer einer so gründlichen Korrektur unterzogen, wie es die Sorgfalt für Veröffentlichungen eigentlich gebieten würde. Dennoch läuft es mir immer wieder kalt den Rücken herunter, wenn ich Varianten wie „lese“, „trete“, „gebe“ und Ähnliches als Aufforderung lesen muss.
Im Unterschied zur Stammvokaländerung von a zu ä („ich fahre“/„du fährst“, aber „fahr bitte dorthin“) wird die Vokalverschiebung von e zu i („ich esse“/„du isst“, „ich lese“/„du liest“) nämlich auch im Imperativ beibehalten: „Iss!“ „Lies!“, „Tritt ein!“, „Bitte hilf mir!“ – und das zumindest nach den geltenden Regeln kategorisch! „Ein leider nicht mehr ganz kategorischer Imperativ“ weiterlesen