Sag mir, wie du heißt … (2)

Nachdem wir im vorigen Beitrag begonnen haben, uns mit der Namensgebung für literarische Figuren zu befassen, soll heute auf einen weiteren Aspekt eingegangen werden, der dabei eine Rolle spielt. Die zweite Ebene der Namensgebung ist die zeitliche. So ist es zumindest im Deutschland des 20. Jahrhunderts relativ gut möglich, die jeweilige Figur anhand des Namens einer bestimmten Generation zuzuordnen. So hießen meine Urgroßmütter beispielsweise Helene, Luise, Dorette und meine Großmütter Elfriede und Hedwig. Hört man diese Namen heute, kann man für die damalige Zeit zumindest abschätzen, dass Erstere noch im 19. Jahrhundert, Letztere hingegen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts geboren wurden.
Waren in der Generation meiner Eltern Namen wie Jürgen, Achim und Gerhard bei den Männern verbreitet, hießen die Frauen Inge oder Ingeborg, Ursula und Helga. Diese Namen sind in meiner Generation ebenso selten zu finden wie die für uns typischen Namen Thomas, Steffen und Karsten oder Katrin, Susanne und Ines unter den Altersgenossen unserer Eltern. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen, die die Regel bestätigen, und Namen, die trotz allem zeitlos sind; dennoch hat man, wenn man einen bestimmten Namen liest, erst einmal ein Bild von der jeweiligen Person im Kopf, zu dem auch diese zeitliche Einordnung gehört.

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Buchtipp: „Meins!“ von Ida Häusser

von Agnes Gossen

Auf dem Titelblatt des ersten Buches von Ida Häusser „Meins!“ ist die kasachische Frühlingssteppe – von weißen, gelben und roten Tulpen übersät. Das ist eines von den Bildern, die in ihrem Gedächtnis für immer geblieben sind, als sie im Mai 1981 vor ihrer Ausreise nach Deutschland Abschied von ihr nahm, und der Wind ihr den Blütenstaub ins Gesicht blies. „Ich wünschte mir riesige, kilometerlange Arme, damit ich die unfassbare Herrlichkeit umarmen und an mich drücken könnte. Wie ein kleines Kind, das ein lieb gewonnenes Spielzeug nicht hergeben will, wollte ich diese stille Schönheit umklammern und, trotzig die Tränen hochschniefen und mit dem Fuß stapfen und immer wieder Meins! rufen.“
Das ist die Stimme einer Achtzehnjährigen, die sich mit 50 immer noch genau an den Abschied von der Tulpensteppe erinnert. Obwohl Ida Häusser sich ab und zu beklagt, dass es immer nur Bruchstücke, Gedächtnisblitze aus ihrer Kindheit sind, die ab und zu auftauchen, ist es ihr gelungen, mit Beharrlichkeit nachzuforschen und ein stimmiges Bild des Lebens in Kasachstan bewusst und wehmütig zu schildern.

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Sag mir, wie du heißt … (1)

… und ich sage dir, wer du bist. So müsste dieser Satz weitergehen, würde man dem altbekannten Muster folgen. Ganz so ist es sicher nicht, denn das würde bei Weitem zu pauschal klingen. Dennoch können Namen etwas über die Biografie ihrer Träger aussagen, und ich finde, das sollten Autoren bei der Namensfindung für ihre literarischen Figuren berücksichtigen, wenn es sich um fiktionale Texte handelt. Zu unterscheiden sind hierbei nationale, temporale, lokale und soziale Konnotationen.
Die erste Frage, die sich bei der Vergabe eines Namens für eine Figur natürlich stellt, ist die Überlegung, wo diese Figur lebt und welchem Kulturkreis sie angehört. Dies gilt sowohl für eigene Texte als auch für Übersetzungen. Ein Beispiel für die Problematik bei Letzteren sind etwa die „Baskischen Erzählungen“ in der Übersetzung von Hans Josef Vermeer. Dieser berühmte Übersetzungswissenschaftler und Vater der Skopostheorie hat sich mit seiner Übersetzung selbst strikt an diese gehalten. Davon ausgehend, dass eine gute Übersetzung nicht wie eine Übersetzung klingen und beim Leser in der Zielsprache denselben Effekt erzielen soll wie beim Leser in der Sprache des Originals, hat er auch die Namen der Figuren verändert, damit sie für den deutschen Leser nicht „fremd“ klingen. So haben nun in diesen Erzählungen baskische Figuren Namen wie „Hinz“ und „Lutz“. Verfolgt man damit einen bestimmten Zweck – wie Vermeer, der mit seiner Übersetzung ein Anwendungsbeispiel für die Skopostheorie geschaffen hat- , ist ein solches Vorgehen legitim, solange man es für den Leser der Übersetzung an irgendeiner Stelle begründet.

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„Im Spiegelschnitt“ von Artur Nickel erschienen

(c) Geest-Verlag

Artur Nickel ist ein Lyriker aus dem Ruhrgebiet, der aufhorchen lässt. Seine Gedichte loten die Zwischenräume zwischen den Worten aus, um darin Sinnpartikel zu finden. Sie sind dem Menschen in der postindustriellen Gesellschaft auf der Spur, wie er ist in seinem Verhältnis
zu sich selbst, der Natur, seinen Mitmenschen zwischen den Kulturen und seinen gesellschaftlichen Bindungen.

Jetzt ist eine Auswahl seiner Gedichte in einem deutsch‐russischen Sammelband erschienen. Der Titel: im spiegelschnitt. Der Band umfasst 65 Gedichte aus seinem bisherigen Werk und den Essay Warum heute Lyrik. gedankensplitter. Ausgewählt und übersetzt hat die Texte Nadeshda Serebryakova aus Kramatorsk/Ukraine, eine versierte Übersetzerin, die schon Werke von Wolfgang Borchert und Rainer Maria Rilke übertragen hat. Sie schreibt: Er (Artur Nickel) beherrscht einen erstaunlichen poetischen Stil: einen emotionalen und intellektuellen zugleich. In seinen Gedichten klingt das Echo der großen Klassik ‐ originelle moderne Rhythmen und ein eigener, einzigartiger, äußerlich bescheidener, aber kraftvoller Klang. Wenn ich überlege, wie man seinen poetischen Stil beschreiben kann, so fallen mir die Worte von N. Nekrasov ein, dass es erforderlich ist, so zu schreiben, „damit es den Wörtern eng, den Gedanken geräumig wäre“. So schreibt Artur Nickel.

Biografie des Autors

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Vorsicht mit Intrigen!

Dass eine Erzählung oder ein Roman durch eine geschickt platzierte Intrige erheblich an Spannung gewinnen kann, ist sicher unbestritten. Allerdings gilt das im Russischen noch wesentlich mehr als im Deutschen. Das liegt jedoch keineswegs daran, dass russische Romanfiguren intriganter wären als deutsche. Vielmehr handelt es sich dabei wieder einmal um einen der hier schon so oft zitierten Falschen Freunde – ein Begriff, der wohl bei kaum einem anderen Thema so passend war wie hier.


So fragte mich kürzlich ein russischsprachiger Bekannter, wie man es auf Deutsch formulieren würde, wenn man ein Werbevideo mit einer Begebenheit oder einem anderen Einstieg beginnt, der die Zuschauer sozusagen „ködern“ soll. Er schlug vor, als Schlagwort das deutsche „Intrige“ dafür zu verwenden, und war ziemlich erstaunt, als ich ihm geradeheraus sagte, dass ich das auf keinen Fall tun würde. Was er meinte, war nämlich das russische „интрига“ in seiner Bedeutung als etwas, das einen neugierig macht.

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„Kein leeres Sie – ein innig Du“

Auch wenn die verschiedenen Anredeformen heute vielleicht nicht mehr ganz die intensive Bedeutung haben, die ihnen Puschkin in seinem berühmten Gedicht noch zugeschrieben hat, spielen sie in der täglichen Kommunikation – und damit natürlich auch in der Literatur – noch immer eine mitunter entscheidende Rolle. Da diese Rolle in verschiedenen Kommunikationsgemeinschaften sehr unterschiedlich sein kann, sind auch die Anredeformen immer wieder Gegenstand von Vorträgen zum Thema Interkulturelles Management. So sollen im Wirtschaftsleben Affronts vermieden werden, die im schlimmsten Fall zu einer Trübung der Geschäftsbeziehungen führen könnten.

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Vom Perspektivwechsel beim Übersetzen

Dass man Texte, und zwar vor allem literarische, nicht wortwörtlich übersetzen kann, wird spätestens dann auch dem Letzten klar, der es bis dahin noch nicht gewusst hat, wenn er das Produkt einer maschinellen Übersetzung in den Händen hält. Die Forderung, „nicht Wort für Wort, sondern Sinn für Sinn“ zu übersetzen, stellte bereits Hieronymus auf, der heute als Schutzpatron der Übersetzerzunft gilt. Sie findet sich später in Martin Luthers „Sendbrief vom Dolmetschen“ ebenso wieder wie in Fausts Monolog in der Szene „Studierzimmer“ im ersten Teil der berühmten Tragödie von Goethe.
So weit, so klar. Inzwischen gehen Menschen, die mehrere Sprachen beherrschen, jedoch mitunter noch einen Schritt weiter. So hört man, dass sich, je nachdem, in welcher Sprache man gerade kommuniziert, auch die Denkweise ein wenig ändert.

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Ist jede Äußerung eine Aussage?

Sie ahnen es sicher: Wenn dem so wäre, bedürfte es vermutlich nicht dieses Artikels. Da ich aber immer wieder in Texten auf Passagen treffe, in denen ich den einen Begriff durch den anderen ersetze, möchte ich an dieser Stelle wieder etwas Klarheit ins Dunkel der vermeintlichen Synonyme bringen. Eine Äußerung kann jegliche Art sein, sich oder etwas zu äußern, und zwar auch in Form von Ausrufen („Na, sieh mal einer an!“, „Hört! Hört!“), Interjektionen („Oh!“, „Pfui!“), lautmalerischen Sequenzen („Rums!“, „Hui!“) oder Grußwörtern („Hallo!“, „Tschüss!“). Ganze Bücher widmen sich inzwischen auch den nonverbalen Äußerungen, der sogenannten Körpersprache. Das kann ein geschickt platziertes Räuspern sein, eine im richtigen Moment hochgezogene Augenbraue oder auch die berühmte russische Geste des Schnipsens an den Hals als Antwort auf die Frage nach den Plänen für den Rest des Abends. All das sind durchaus Äußerungen – der Freude, des Erstaunens, der Missbilligung oder einer Absicht. Aussagen jedoch sind es nicht.

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Buchtipp: „Die geheimnisvolle Pracht der Städte des Goldenen Rings“ von Susanne Pfau

Neujungfrauenkloster / Moskau (c) Alexander Milanitsch, Fotobank „Lori“

Die Geheimnisse Russlands in einem Buch erkunden

Die Gmünder VHS-Dozentin Dr. Susanne Pfau entführt in die
geheimnisvolle Pracht der Städte des Goldenen Rings.


Russland ist derzeit in aller Munde, aber dass dies so ist, das
ist meist in der Politik begründet. Unstimmigkeiten, politische
Machtspiele, die „Annexion“ der Krim, die Sanktionen
dominierten vor ein paar Jahren den medialen Alltag. Dabei ist Russland kulturell seit Jahrhunderten eng mit Deutschland verbunden, die Schätze Russlands geraten aus dem Fokus. Dr. Susanne Pfau will das mit einem reichhaltig bebilderten Buch über den sagenumwobenen Goldenen Ring ändern. Viele werden sich zunächst einmal fragen, was ist der Goldene Ring überhaupt?

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Erster Lyrikband von Max Schatz mit dem Titel „NIHILSCHWIMMER“ ist erschienen

Bereits seit dem 18. Jahrhundert gibt es die strenge poetische Form des Sonettenkranzes: 14 Sonette, die jeweils letzte Zeile wiederholt sich als die erste Zeile eines nächsten Sonetts, das 15. „Meistersonett“ fasst dann alle Anfangs- bzw. Endzeilen gemäß ihrer Reihenfolge zusammen.
Der zweisprachige Autor Max Schatz holt die alte, doch immer noch als ein dichterischer Kraftakt geltende Form ins 21. Jahrhundert und füllt sie mit modernem Inhalt. Sein erster Lyrikband „Nihilschwimmer“ versammelt – was es so bisher noch nicht gab – alle seine deutschen Sonettenkränze unter einem Buchdeckel. Jedes dieser Langgedichte erzählt eine Geschichte: Ein lyrisches Ich, das zeitlebens nicht in seinem Element ist … doch gezwungen, darin zu bleiben … stets auf der Reise zu, auf der Suche nach … irgendeine Wahrheit ablehnend, im Dunkel des Lebens am Ariadnefaden entlang … zurück zum Sinn.

Lesen Sie dazu eine ausführliche Rezension in der Moskauer Deutschen Zeitung. (Juli, 2020).

Hrsg. vom BKDR und dem Literaturkreis der Deutschen aus Russland e. V.

Bestellungen unter: kontakt (at) ostbooks (punkt) de


NIHILSCHWIMMER, von Max Schatz, Sonettenkränze, ISBN 978-3-947270-09-5, Taschenbuch, ostbooks buchstudio, Preis: 10,00 € (D)